Antrag: Gemeindefinanzen solide reformieren

 

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

  1. Selbst in einer wirtschaftlich günstigen Phase zwischen 2006 und 2008 konnten viele niedersächsische Städte und Gemeinden ihre strukturellen Haushaltsprobleme nicht lösen.   Im Zuge der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise stehen sie vor dem finanziellen Kollaps: In den Kassen der niedersächsischen Kommunen fehlten im Jahr 2009 ca. 874 Mio. €. Neben einem deutlichen Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen um 21,5% gegenüber dem Vorjahr, sind auch die Einnahmen der Kommunen aus der Einkommenssteuer zurück gegangen. Für das laufende Jahr werden laut aktueller Steuerschätzung erneut Einnahmeeinbußen in Höhe von 24 Mio. € für die Kommunen erwartet. Nach den Kürzungen der Finanzausgleichszahlungen des Landes im laufenden Jahr werden sich die Beträge auch 2011 weiter reduzieren.
  2. Die schwarz-gelbe Bundesregierung plündert die niedersächsischen Kommunen mit Unterstützung der Landesregierung immer weiter aus: Allein das so genannte "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" wird im laufenden Jahr zu Einnahmeverlusten von 84 Mio. € und in den Folgejahren von jeweils ca. 140 Mio. € führen. Weitere massive Belastungen würden mit der im Koalitionsvertrag der Berliner Regierungsparteien vereinbarten Abschaffung der Gewerbesteuer und der weiteren Reduzierung der Einkommenssteuern auf die Kommunen zukommen.
  3. Trotz dramatisch sinkender Einnahmen werden die Kommunen mit zusätzlichen Ausgaben belastet: Die Leistungen für die Sozialhilfe und die Unterkunftskosten von Hartz IV-Bezieherinnen und –beziehern sind deutlich gestiegen. Die kommunalen Gesamtausgaben lagen im Jahr 2009 um 6,3% über dem Vorjahr. Zusätzlich hat der Bund beschlossen, seinen Anteil an den Unterkunftskosten zu senken.
  4. Der Schuldenstand der niedersächsischen Kommunen belief sich Ende des Jahres 2009 auf ca. 7,6 Mrd. €. Die Kassenkredite haben sich in den letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt und mit über  4,4 Milliarden € einen dramatischen Stand erreicht. Viele Kommunen befinden sich in der "Vergeblichkeitsfalle", können sich also aus eigener Kraft nicht mehr aus ihrer prekären Finanzsituation befreien.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, endlich eine umfassende und breit angelegte Initiative für die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der niedersächsischen Kommunen zu ergreifen und dabei folgendes umzusetzen bzw. darauf hinzuwirken:

  1. Die Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer auszubauen und die Einnahmen zu verstetigen und zu erhöhen. Das Band zwischen der örtlichen Wirtschaft und ihrer Standortkommune soll erhalten bleiben. Dieses soll erreicht werden durch:
    • Einbeziehung der freien Berufe in die Steuerpflicht,
    • Absenkung des Steuerfreibetrages für Personengesellschaften auf den Freibetrag der Lohn- und Einkommenssteuer,
    • Stärkere Einbeziehung gewinnunabhängiger Elemente wie Fremdkapitalzinsen, Mieten und Pachten, Leasingraten und Lizenzgebühren in die Bemessungsgrundlage,
    • Beschränkungen der Anrechung etwaiger Verluste aus Vorjahren auf die Steuerschuld.
  2. Die Grundsteuer mit dem Ziel zu reformieren, das Steueraufkommen sozialverträglich deutlich zu steigern, die Besteuerung verfassungskonform am aktuellen Wert der Immobilie zu orientieren und sie als ökologisches und städtebauliches Steuerungsinstrument zu nutzen.
    Diese zweitwichtigste kommunale Steuer richte sich heute nach einem veralteten Einheitswert. Sie muss künftig am Bodenrichtwert und der in Anspruch genommenen Grundfläche oder alternativ an einem standardisiert festgesetzten Verkehrswert bemessen werden. Dieses führt gleichzeitig zu einer deutlichen Vereinfachung im Verwaltungsvollzug.
  3. Weiteren Steuergeschenken eine deutliche Absage zu erteilen und mit folgenden Veränderungen bei der Einkommens- und Mehrwertsteuer für Einnahmeverbesserungen zu sorgen, die über die Verbundabrechnung auch den Kommunen zugute kommen
    • Überführung des Ehegattensplittings in eine Individualbesteuerung im Rahmen der verfassungsmäßigen Vorgaben;
    • Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45%;
    • Rücknahme der im "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" beschlossenen Subventionierung des Hotel- und Pensionsgewerbes durch den verminderten Mehrwertsteuersatz.

Die im Rahmen der Verbundsteuern zur Verfügung stehenden kommunalen Anteile sollen künftig in Interesse eines sachgerechten Lastenausgleichs je zur Hälfte nach dem Wohnort- und nach dem Arbeitsstättenprinzip verteilt werden.

  1.  Eine Entlastung der Städte und Gemeinden von den Kosten der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik durchzusetzen,
    • durch eine Ausrichtung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft für ALG II Empfänger/innen an den tatsächlichen Unterkunftskosten und
    • durch Gewährleistung der vereinbarten Bundesanteilsfinanzierung auch für zusätzlich erforderliche Maßnahmen zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung ab dem vollendetem 1. Lebensjahr.
  2. Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Kommunen zu lockern und die Konnexität auch auf der Bundesebene zu verankern.
  3.  Zur Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik ein umfassendes Schuldenmanagement zu entwickeln und anzubieten, auf dessen Basis die strukturell bedingte Schuldenspirale unterbrochen und dauerhafte Konsolidierungsperspektiven eröffnet werden können.

Begründung:

"Ich kenne eigentlich niemanden, der ernsthaft eine Gemeindefinanzreform in Abrede stellt", stellte Innenminister Schünemann vor der Landkreisversammlung des Niedersächsischen Landkreistages Mitte März 2010 in Bad Salzdetfurth fest. Die bisherigen Bestrebungen der Landesregierung zur dringend notwendigen Reform der Kommunalfinanzen gehen jedoch in die falsche Richtung indem u.a. mit der Gewerbesteuer die wichtigste kommunale Steuer zur Disposition gestellt wird.

Die Gewerbesteuer steht in der Kritik, durch ihre besondere Abhängigkeit von konjunkturellen Schwankungen keine hinreichend verlässliche kommunale Einnahme zu sein. Ihre mangelnde Stetigkeit darf jedoch nicht – wie von den Koalitionsfraktionen im Bund beschlossen - zu ihrer Abschaffung führen. Der den Kommunen u.a. als Kompensation zugedachte Körperschaftssteueranteil unterliegt zudem weitaus größeren konjunkturellen Schwankungen. Wollte man die Gewerbesteuer – wie u.a. vorgeschlagen – durch einen höheren Anteil der Kommunen an der Mehrwertsteuer kompensieren, müsste dieser von 2% auf 23% steigen. Angesichts der prekären Haushaltslage des Bundes und der Länder dürfte dieses nur mit einer massiven Anhebung der Mehrwertsteuer realisierbar sein, die wiederum zu Lasten der sozial Schwachen geht. Statt die Gewerbesteuer abzuschaffen, muss sie durch ihren Umbau zur kommunalen Wirtschaftssteuer zu einer stabileren Finanzierungsquelle kommunaler Aufgaben werden. Die Einbeziehung der freien Berufe in die Steuerpflicht schafft faire Wettbewerbsbedingungen und beendet wirtschaftlich oft nicht nachvollziehbare Abgrenzungsprobleme. Durch die Absenkung des Freibetrages auf den zu versteuernden Gewinn von derzeit 24.500 € auf den bei der Lohn- und Einkommenssteuer geltenden Freibetrag von aktuell ca. 8.000 € (für Ledige) wird die kommunale Wirtschaftssteuer deutlich verlässlicher und dem Charakter der Steuer als Großbetriebssteuer entgegengewirkt. Dieses gilt ebenso für die Erhöhung der bereits bestehenden sogenannten Hinzurechnungen gewinnunabhängiger Komponenten in die Bemessungsgrundlage wie Mieten, Pachten, Fremdkapitalzinsen, Leasingraten oder Lizenzgebühren. Auf diese Weise werden darüber hinaus jene Betriebe nicht mehr benachteiligt, die zur Finanzierung ihrer Anlagen und Investitionsgüter Eigenkapital einsetzen. Ferner tragen die Erhöhung der Hinzurechnungen und die Beschränkung der Anrechenbarkeit von Verlusten aus Vorjahren dazu bei, die Unternehmen stärker in dem Maße an der Finanzierung kommunaler Infrastruktur zu beteiligen, in dem sie von ihnen genutzt wird. Eine derartige Reform hat jüngst auch der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund gefordert.

Im internationalen Vergleich ist die Grundsteuer in Deutschland außerordentlich niedrig. Bemessungsgrundlage sind die veralteten Einheitswerte aus der Mitte der 1960er Jahre, die den tatsächlichen Wert einer Immobilie nicht annähernd widerspiegeln. Seit das Bundesverfassungsgericht 1995 die Einheitswerte als Bemessungsgrundlage der Erbschafts- und Vermögenssteuer als verfassungswidrig erklärt hat, ist die Verfassungskonformität der Grundsteuer in der jetzigen Form mindestens zweifelhaft. Stattdessen muss sich die Grundsteuer am aktuellen Wert der Immobilie orientieren und sollte gleichzeitig eine ökologische Lenkungswirkung entfalten, indem flächenintensive Nutzungsformen und die Nicht-Nutzung unbebauter Grundstücke im beplanten Innenbereich stärker zum Grundsteueraufkommen beitragen müssen, während das Wohnen in verdichteter Bauweise auch aus sozialpolitischen Gründen eher begünstigt werden sollte. Diese Ziele sind sowohl mit der von einigen Ländern derzeit favorisierten Bemessung an einem standardisiert ermittelten Verkehrswert, besser jedoch mit der vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) bereits im Jahr 2000 vorgeschlagenen Bemessung am Bodenrichtwert unter Hinzurechnung einer Flächenkomponente erreichbar. Das Difu-Modell weist gegenüber dem Verkehrswert den Vorteil auf, dass es deutlich einfacher handhabbar ist, wodurch die bisherigen Kosten für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage der Grundsteuer von rund 24,5 Mio. € jährlich zumindest teilweise eingespart werden können. Außerdem liegen die Grundlagendaten (Bodenrichtwerte) weitgehend vor und können im Internet abgerufen werden. Die Bemessung am Bodenrichtwert ist deutlich objektivierbarer und damit rechtssicherer, als die beim Verkehrswertmodell erforderliche Ermittlung des Verkehrswertes anhand standardisierter Verfahren, die den Einzelfall aufgrund der Vielzahl der Möglichkeiten des baulichen Zustandes und der Ausstattung eines Gebäudes nur annähernd abbilden können.

Die Lohn und Einkommenssteuer müssen endlich wieder so ausgestaltet werden, dass sie die Bürgerinnen und Bürger gemäß ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen (Erhöhung des Spitzensteuersatzes) und die gesellschaftlichen Realitäten endlich zur Kenntnis nehmen (Abschaffung des Ehegattensplitting).

Einnahmeverbesserungen bei der Lohn-, Einkommens- und Mehrwertsteuer kommen vor allem dem Bund und den Ländern zugute. Diese Mehreinnahmen müssen zumindest zum Teil dafür genutzt werden, den Not leidenden Kommunen zu helfen, indem der kommunale Anteil an der Lohn- und Einkommenssteuer erhöht wird. Die jeweils hälftige Zerlegung des kommunalen Anteils an der Lohn- und Einkommenssteuer nach dem Wohn- und Arbeitsort trägt der Tatsache Rechnung, dass Pendler die kommunale Infrastruktur nicht nur an ihrem Wohnort, sondern auch an ihrem Arbeitsort nutzen. Außerdem wird damit ein Stadt-Umland-Problem gemildert, wonach die Oberzentren mit ihrer Wirtschaftsförderung und der Bereitstellung oberzentraler Infrastruktureinrichtungen erheblich zur Wertschöpfung einer ganzen Region beitragen, gerade besonders steuerkräftige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das Wohnen "im Grünen" vorziehen und sich leisten können, jedoch an die Umlandgemeinden verlieren.

Der Ende 2009 mit den kommunalen Spitzenverbänden geschlossene "Zukunftsvertrag" ist nur eine Scheinlösung: Die den Kommunen angebotene Altschuldenübernahme beinhaltet ausschließlich die Kassenkredite, die bis zum Jahre 2009 aufgelaufen sind und erfasst damit die von der Finanzkrise und fiskalpolitischen Fehlentscheidungen der Bundes- und Landesregierung verursachten neuen Schulden nach 2009 nicht.

Fraktionsvorsitzender

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