Antrag: EU-Agrarreform: Interessen der niedersächsischen Milchproduktion wahren

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Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Hannover, den 06.05.03

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
1. Die niedersächsische Milchviehhaltung einschließlich der Verarbeitung
- hat eine herausgehobene Bedeutung für die Bereitstellung von Arbeitsplätzen und Einkommen im ländlichen Raum,
- produziert qualitativ hochwertige und sichere Lebensmittel und hat einen hohen Anteil an der Wertschöpfung des niedersächsischen Agrarsektors und des Grünlandes,
- ist mit ihren vielfältigen Nutzungs- und Bewirtschaftungsformen, insbesondere der Weidehaltung, eine wichtige Voraussetzung für die Vielfalt unserer Kulturlandschaften und der damit verbundenen Artenvielfalt,
- sichert, wirtschaftlich ohne Alternativen, die ökologischen Funktionen des Grünlandes durch dessen Nutzung ohne direkte Nahrungsmittelkonkurrenz zum Menschen und trägt damit entscheidend zu einer flächendeckenden Landwirtschaft bei.

2. Im Rahmen der EU-Agrarreform hat die EU-Kommission Veränderungen der Milchmarktordnung vorgeschlagen, die diese Funktionen erheblich gefährden. Bereits in den Berliner Beschlüssen von 1999 (Agenda 2000) war bei Beibehalten der Milchquote bis 2008, eine Senkung des Interventionspreises ab 2005 um insgesamt 15 % vorgesehen. Außerdem eine Quotenerhöhung um 2,4 %. Mit den jetzt vorliegenden Vorschlägen der Halbzeitbewertung sollen diese Beschlüsse noch einmal verschärft werden. Das Quotensystem soll bis 2014/2015 gelten. Die Agenda-2000-Beschlüsse werden um ein Jahr vorgezogen. 2007 und 2008 soll die Milchquote erneut um jeweils 1 % erhöht werden. Die Interventionspreissenkungen werden in fünf Jahresschritten auf durchschnittlich 28 % erhöht. Diese Preissenkungen sollen lediglich zu 50% durch Ausgleichszahlungen an die Betriebe kompensiert werden. Diese Zahlungen sollen in das System der Entkopplung einbezogen werden.

3. Es ist zu erwarten, dass der Milchpreis im Binnenmarkt dem Interventionspreis folgt. Schon heute drückt die rund 15-%-ige Überproduktion in Europa auf den Preis. Auch der gegenwärtige Auszahlungspreis ist bereits für viele niedersächsische Landwirtschaftsbetriebe nicht kostendeckend. Die vorgesehenen Quotenausweitungen verschärfen diese Situation dramatisch. Eine wesentliche Steigerung der Verbrauchernachfrage im Binnenmarkt oder des Exports auf den Weltmarkt ist wegen der unelastischen Nachfrage in diesem Produktbereich unrealistisch. Der daraus resultierende Preisverfall wird durch die vorgesehenen Ausgleichszahlungen nur unzureichend ausgeglichen. Folge werden drastische Einkommensverluste der niedersächsischen Milchviehbetriebe sein. Damit droht ein erheblich beschleunigtes Höfesterben und ein Rückzug der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung aus den benachteiligten Gebieten.

Der Landtag lehnt deshalb die beabsichtigten Senkungen des Interventionspreises bei Milch und die Ausweitung der Milchquoten ab. Im Sinne der Planungssicherheit zu begrüßen ist die Fortführung des Quotensystems bis 2015.
Der Landtag erwartet von der Landesregierung, sich im Interesse der niedersächsischen Milchproduktion auf allen Ebenen für folgende Forderungen einzusetzen:
- Rücknahme der in der Agenda 2000 vereinbarten Quotenerhöhungen und Streichung der darüber hinaus gehenden Ausweitungen. Statt dessen ist eine flexible Mengenregulierung entsprechend der Marktentwicklung einzuführen. Das Milchquotensystem macht nur Sinn, wenn es einen weitgehenden Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage schafft und erhebliche Überproduktion verhindert
- Verzicht auf drastische Interventionspreissenkungen. Unvermeidliche Anpassungen müssen wie bei anderen Agrarprodukten zu 90 % ausgeglichen werden.
- Durchsetzung eines qualitative Außenschutzes für Milch und Milchprodukte bei den WTO-Verhandlungen zur Sicherung einer multifunktionalen Landwirtschaft
- Beseitigung der Benachteiligung des Grünlandes gegenüber den Ackerstandorten durch eine einheitliche Prämie auf alle Flächen im Zuge einer teilweisen Entkopplung.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die aus der nationalen Modulation verfügbaren Finanzmittel künftig auch für die Förderung der Weidehaltung einzusetzen.

Begründung
762 000 Milchkühe machen Niedersachsen zum Milchland Nummer 1 unter den Bundesländern. Die Küstenlandkreise haben einen Dauergrünlandanteil an der landwirtschaftlichen Fläche zwischen 50 und 70% und mehr. Entsprechend hoch ist die wirtschaftliche Bedeutung der Milchwirtschaft für Niedersachsen . Über 50 % der Arbeitsplätze in der Landwirtschaft finden sich in der Milchproduktion. 25 % des landwirtschaftlichen Produktionswertes in Niedersachsen resultieren daraus. Die Milchviehhaltung erbringt 80 % der Wertschöpfung aus Grünlandstandorten.
Der hohe Standard der niedersächsischen Milchverarbeitung sichert den Verbrauchern hochwertige und vielfältige Produkte. Insbesondere die Bewirtschaftung mit traditioneller Weidehaltung ist aber auch ein unverzichtbarer Eckpunkt für das europäische Agrarmodell der Multifunktionalität. Neben Arbeitsplätzen und Einkommen im ländlichen Raum ist die Milchproduktion die ökonomische Basis für eine vielfältige Kulturlandschaft, für die Wahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, für Artenvielfalt, für den Erhalt des naturschutzrelevanten Dauergrünlandes. Niedersachsen muss deshalb ein großes Interesse an der Sicherung und Verbesserung der gegenwärtigen Strukturen haben.
Die durch die EU-Agrarreform z.Zt. vorgesehenen Maßnahmen, insbesondere die drastische Senkung des Interventionspreises verbunden mit einer mengenerhöhenden Steigerung der Milchquoten, zerstören die wirtschaftliche Grundlage vieler niedersächsischer Milcherzeuger.
Schon heute liegt der Milchpreis mit ca. 28 bis 30 Cent/kg unter den durchschnittlichen Produktionskosten in der EU, die etwa 30 bis 35 Cent betragen. Prognostiziert wird ein weiterer Preisverfall um 8 Cent/kg Milch, der nur zur Hälfte durch neue Ausgleichzahlungen aufgefangen wird. Die positiven Erwartungen der EU-Kommission zur Marktpreisentwicklung und zur Steigerung des Absatzes werden von vielen Fachleuten nicht geteilt. Auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU bezweifelt eine steigende Aufnahmefähigkeit der nationalen und internationalen Märkte und hält die Auffassung der EU-Kommission für falsch, dass sinkende Preise zu Mehrverbrauch führen werden.
Für den EU-Bereich haben Fachleute Einkommensverluste der Milchbetriebe in einer Größenordnung von 4 bis 5 Mrd. € errechnet. Solche Verluste würden selbst niedersächsiche Betriebe mit sehr guter Produktionsstruktur in existenzielle Schwierigkeiten bringen. Betriebe die unter erschwerten Bedingungen und in benachteiligten Gebieten arbeiten hätten keine dauerhafte Chance. Deshalb muss die Landesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles unternehmen, um eine Änderung der Planungen herbeizuführen. Im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeit muss sie ihre Agrarumweltprogramme für die Förderung der Weidehaltung einsetzen.


Fraktionsvorsitzende

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