Antrag: Cannabis entkriminalisieren – Jugendliche schützen, Verbraucherschutz und Prävention ermöglichen
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Fraktion der FDP
Cannabis entkriminalisieren – Jugendliche schützen, Verbraucherschutz und Prävention ermöglichen
Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
I. Der Landtag stellt fest:
„Immer mehr Kinder kiffen!“ – das stellte die HAZ in ihrer Ausgabe vom 2. März 2018 fest und berief sich auf Daten des LKA Niedersachsen. Demnach hatte sich der Cannabiskonsum bei Jugendlichen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Immer wieder haben Studien wie bspw. der Epidemiologische Suchtsurvey 2014 oder der European School Panel on Alcohol and Drugs 2015 gezeigt, dass der Konsum von Cannabis gesellschaftliche Realität ist. Die Prohibition ist somit gescheitert, denn sie verhindert den Konsum von Cannabis und anderen Drogen keineswegs, sie ist sogar in mehrfacher Hinsicht problematisch:
- Ein wirksamer Verbraucherschutz ist nicht möglich: auf dem Schwarzmarkt erworbenes Cannabis hat nicht selten einen erhöhten Wirkstoffgehalt oder ist mit gesundheitsgefährdenden Substanzen wie Glas, Blei oder Sand verunreinigt.
- Jugendliche können auf dem Schwarzmarkt ebenfalls problemlos Cannabis erwerben; ein effektiver Jugendschutz und gezielte präventive Angebote für Jugendliche sind nicht möglich.
- Der illegale Handel kann nicht kontrolliert werden. Problematisches Konsumverhalten und damit einhergehenden gesundheitliche und soziale Risiken können nicht frühzeitig erkannt werden, ein wirksame Prävention ist nicht möglich.
- Die unverhältnismäßige Kriminalisierung von Cannabiskonsumentinnen und –konsumenten bindet Kapazitäten bei den Strafverfolgungsbehörden, führt jedoch nur selten zu einer strafrechtlich relevanten Verurteilung.
Die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Volljährige kann diese Risiken reduzieren und den Jugend- und Verbraucherschutz verbessern.
II. Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf:
- sich auf Bundesebene weiterhin in geeigneter Weise für eine Entkriminalisierung von Cannabis einzusetzen und zeitgleich alle Möglichkeiten für eine liberalere Handhabung des Cannabiskonsums von Erwachsenen auszuschöpfen,
- beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG für ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt zur regulierten Abgabe von Cannabis einzuholen,
- unter Beteiligung der relevaten Akteurinnen und Akteure ein Modellprojekt zur regulierten Abgabe von Cannabis in Niedersachsen zu planen und durchzuführen. Die Abgabe von Cannabis soll dabei unter folgenden Voraussetzungen erfolgen:
- Sie ist ausschließlich bei lizensierten Stellen (z.B. Apotheken) und durch entsprechend qualifiziertes Personal möglich.
- Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ist der Erwerb und Besitz von Cannabis weiterhin vollständig untersagt.
- Die regulierte Abgabe von Cannabis erfolgt ausschließlich zum Eigenbedarf. Dabei sind sinnvolle Höchstgrenzen pro Einkauf oder Zeiteinheit festzulegen.
- Cannabisprodukte sind mit einer Angabe der Inhaltsstoffe, sowie mit Warnhinweisen zu möglichen Gesundheitsschäden, explizit auch für Kinder und Jugendliche, Schwangere und Stillende zu versehen. Die Produkte müssen zudem eine Packungsbeilage mit Hinweisen zu Dosierung und Wirkung, möglichen Wechselwirkungen sowie Vorsichts- und Notfallmaßnahmen enthalten.
- Missbräuchliches Verhalten (z.B. Weitergabe der Cannabisprodukte) führt zu einem Ausschluss vom kontrollierten Cannabiserwerb, sowie zu strafrechtlichen Konsequenzen.
- das Modellprojekt vor allem im Hinblick auf die Entwicklung des Konsumverhaltens sowie der Schwarzmarktaktivität umfassend wissenschaftlich von einem geeigneten Institut begleiten zu lassen. Dazu sollen Erhebungen längsschnittartig zu mindestens drei Zeitpunkten durchgeführt werden (vor, während und nach Abschluss des Projektes). Darüber hinaus sind vor Projektbeginn Kriterien zu definieren, bei deren Vorliegen das Modellprojekt abzubrechen ist.
- begleitend im Zusammenarbeit mit den relevanten Akteurinnen und Akteuren geeignete Maßnahmen zur Prävention von Cannabisabhängigkeit, zur Früherkennung von riskanten Konsummustern und zur gezielten Weitervermittlung von Betroffenen in entsprechende Suchthilfe- oder Therapieeinrichtungen zu ergreifen und zu prüfen, inwieweit ein Teil des Verkaufserlöses zur Finanzierung von Prävention und Suchthilfe herangezogen werden kann.
- den Jugendschutz begleitend durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen und niedrigschwellige zielgruppen- und lebensweltorientierte Aufklärungs- und Präventionsangebote aufzulegen und
- die Bedeutung der kontrollierten Abgabe von Cannabis für die Sicherheit im Straßenverkehr wissenschaftlich untersuchen zu lassen.
Begründung
Die Zahl der Cannabiskonsumentinnen und –konsumenten in Deutschland ist seit Jahren gleichbleibend hoch – trotz strafrechtlicher Verfolgung. Cannabis ist überall leicht erhältlich. Das Betäubungsmittelgesetz hat seine ursprünglichen Ziele – die Reduzierung des Angebots und eine Verringerung der Nachfrage – nicht erreicht. Stattdessen führt die repressive Drogenpolitik in Deutschland zu einer Zunahme der organisierten Kriminalität, zu zusätzlichen Gesundheitsgefahren durch verunreinigte Produkte und zu unverhältnismäßiger Verfolgung mündiger Konsumentinnen und Konsumenten. Gleichzeitig verhindert sie aber auch einen wirkungsvollen Zugang zu Prävention und Therapie für Menschen mit problematischem Konsum – vor allem aber auch für Jugendliche, die ihren Konsum nicht offen ansprechen können, wenn sie familiäre, schulische oder gar strafrechtliche Konsequenzen befürchten müssen.
Seit etlichen Jahren setzen sich viele Menschen für eine grundsätzliche Wende in der Cannabispolitik ein, darunter ehemalige Staatschefs und Politiker wie Kofi Annan oder Javier Solana, Strafrechtsprofessorinnen und -professoren oder der Bund der Kriminalbeamten. Entsprechende Gesetzentwürfe im Bundestag sind bisher jedoch mit Verweis auf die verharmlosende Bedeutung einer Liberalisierung und die Gefahr steigender Konsumzahlen abgelehnt worden. Für beides gibt es international keine wissenschaftlichen Belege.
Auch der Bundesrat hat 2017 einen Antrag der Bundesländer Bremen und Thüringen abgelehnt, im Betäubungsmittelgesetz eine Rechtsgrundlage für die Abgabe von Cannabis an Erwachsene im Rahmen wissenschaftlich begleiteter Modellprojekte zu schaffen. Somit liegt die Entscheidung über die Zulassung derartiger Modellprojekte weiterhin im Ermessensspielraum des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Mehrere Kommunen haben bereits entsprechende Anträge an das Bundesinstitut gerichtet, darunter der Berliner Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain und die Stadt Münster – bisher jedoch ohne Erfolg.
Modellprojekte zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene sind deshalb von Bedeutung, weil sie Aufschluss über die tatsächlichen Auswirkungen einer Liberalisierung der bisherigen Prohibitionspolitik geben können. In einer Anhörung im Sozialausschuss des Landtages im letzten Jahr wurde deutlich, dass Kritikerinnen und Kritiker einer Liberalisierung vor allem steigende Konsumzahlen befürchten. Dafür gibt jedoch bisher aus Ländern mit einem liberalisierten Zugang zu Cannabis (z.B. Niederlande, Schweiz, Spanien oder Portugal) keinerlei Hinweise. Die Diskussion über eine Liberalisierung in Deutschland findet stark entlang ideologischer Linien, nicht aber auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse statt. In Anbetracht der erfolglosen Prohibition und des daraus resultierenden Handlungsbedarfes kann ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt wichtige Daten bspw. zur Entwicklung der Konsumzahlen oder der Wirksamkeit von Prävention liefern, auf deren Grundlage über das weitere Vorgehen beraten werden kann.