Antrag: Artensterben bis 2010 stoppen – Land muss Aktionsplan auflegen

Der Landtag stellt fest:

Im Mai 2008 wird Deutschland Gastgeber der 9. UN-Vertragsstaatenkonferenz zur biologischen Vielfalt sein. Im Artikel 6 der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, nationale Umsetzungsstrategien zur Erreichung der Ziele der CBD zu verwirklichen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. unverzüglich einen Aktionsplan zum Erhalt der Biologischen Vielfalt in Niedersachsen vorzulegen und
  2. der Initiative "Countdown 2010" der Weltnaturschutzorganisation IUCN beizutreten.

Der Landtag erwartet, dass die Landesregierung in dem Aktionsplan "Biologische Vielfalt" detailliert darlegt, mit welchen einzelnen Maßnahmen und in welchem Zeitraum die Ziele erreicht werden sollen.

Grundlage für den Aktionsplan müssen mindestens die in der "Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" von der Bundesregierung am 7. November 2007 beschlossenen Ziele und die dort in der Zuständigkeit der Länder geforderten Maßnahmen sein.

Folgende Ziele müssen auch für Niedersachsen verbindlich werden:

  • Den Rückgang der Biologischen Vielfalt und die Degradierung von Lebensräumen bis 2010 zu stoppen und anschließend für eine positive Trendentwicklung zu sorgen;
  • auf mindestens 2 % der Landesfläche eine ungestörte Wildnis zu entwickeln;
  • für den Großteil der Rote Liste-Arten die Gefährdungssituation bis 2020 um mindestens eine Stufe zu verbessern;
  • mind. 30 % der Fläche in Deutschland als Naturparke auszuweisen;
  • auf mindestens 10 % der Landesfläche ein repräsentatives und funktionsfähiges System vernetzter Biotope sicherzustellen;
  • auf mindestens 5 % der Waldfläche eine natürliche Waldentwicklung zuzulassen, bei Waldflächen der öffentlichen Hand mindestens 10 %;
  • den Flächenverbrauch bis 2020 auf 30 ha pro Tag zu senken, die Liegenschaftspolitik auf die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme auszurichten;
  • in Flüssen wieder gute Badewasserqualität und mehr natürliche Überflutungsräume herzustellen;
  • die Schadstoffbelastung der Fische (z. B. Aal) und Muscheln soweit zu reduzieren, dass diese wieder uneingeschränkt genießbar sind;
  • Moore zu schützen, wiederzuvernässen und den Torfabbau signifikant zu reduzieren;
  • durch nachhaltige Nutzung – unter Berücksichtigung der Anforderungen des Naturschutzes – die biologische Vielfalt der Kulturlandschaften zu steigern und ihre Vielfalt, Schönheit und regionaltypische Eigenart zu bewahren;
  • Produkte und Dienstleistungen, die die Biodiversität schädigen, ebenso wie positive Aktivitäten, die die Biodiversität fördern, besser zu kennzeichnen;
  • bei der Erarbeitung bzw. Novellierung gesetzlicher Regelungen die Erhaltung der biologischen Vielfalt stärker zu berücksichtigen,
  • das Beschaffungs- und Bauwesen an biodiversitätserhaltenden Standards auszurichten;
  • die Steuer- und Förderpolitik an der Erhaltung der Biodiversität zu orientieren;
  • den Flächenanteil naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope (hochwertiges Grünland, Streuobstwiesen) bis 2015 um mindestens 10 % gegenüber 2005 zu erhöhen;
  • der Anteil naturnaher Landschaftselemente (z. B. Hecken, Raine, Feldgehölze, Kleingewässer) muss in agrarisch genutzten Gebieten bis 2010 mindestens 5 % betragen;
  • die Schadstoffeinträge in land- und forstwirtschaftlich genutzten Böden müssen z. B. durch weitere Verschärfung der Grenzwerte des Düngemittelrechts zurückgeführt werden;
  • Gentechnik ist mit dem Erhalt der biologische Vielfalt nicht vereinbar;
  • von den bestehenden Verkehrswegen dürfen bis 2020 keine erheblichen Beeinträchtigungen des Biotopverbundsystems mehr ausgehen. Die ökologische Durchlässigkeit von zerschnittenen Räumen ist zu erreichen;
  • der derzeitige Anteil der unzerschnittenen verkehrsarmen Räume ? 100 km2 muss  erhalten bleiben;
  • die natürliche Speicherkapazität für CO2 muss (z. B. durch Wiedervernässung und Renaturierung von Mooren und durch die Zunahme naturnaher Wälder) um 10 % erhöht werden.

Ferner fordert der Landtag, die Biodiversitätspolitik als Querschnittsaufgabe in die Landespolitik zu integrieren und konsequent umzusetzen. Biodiversitätspolitik schließt neben dem Natur- und Artenschutz insbesondere auch die Politikbereiche Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnungsbau, Tourismus und Meeres- und Hafenpolitik mit ein. Sie ist ein wichtiger Teil der Klimaschutzpolitik des Landes, seine sozialen Folgen sind zu berücksichtigen und die Finanz- und Subventionspolitik sind an den Zielen auszurichten.

Begründung:

Der vom Menschen gemachte Artenverlust ist heute tausendmal höher als die natürliche Rate. Verloren gegangene Biodiversität lässt sich nicht wieder herstellen. Der Verlust ist irreversibel.

Durch den Verlust an Arten, Genen und Lebensräumen verarmt die Natur und werden die Lebensgrundlagen der Menschheit bedroht.

In Niedersachsen leben ca. 40.000 Tier- und Pflanzenarten. Viele davon sind durch Bestandsrückgänge gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Nur für ein Viertel der in Niedersachsen vorkommenden Arten ist die Bestandsentwicklung überhaupt bekannt. Danach sind von 9.339 heimischen Arten mehr als 53 Prozent gefährdet.

Und auch der Verlust und die Abstufung von Lebensräumen sind heute so hoch wie nie. Allein in Deutschland gehen täglich rund 115 ha Fläche für Verkehr und Siedlungen verloren. Wenn der jetzige Trend nicht gestoppt wird, droht durch die Zerstörung der Lebensräume und durch die Folgen des Klimawandels in den nächsten 25 Jahren weltweit die Ausrottung von 1,5 Millionen Tier- und Pflanzenarten.

Dabei ist der Wert der natürlichen Biodiversität nicht nur ideell unersetzbar. Schätzungen der Bundesregierung beziffern den Wert der gesamten Biodiversität auf jährlich 16 bis 64 Billionen Euro aus – deutlich mehr als das Weltsozialprodukt.

Bei der 9. Vertragsstaatenkonferenz zur Biologischen Vielfalt geht es um nicht weniger als die Wahrung der Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen.

Artikel 6 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt sieht vor, dass "jede Vertragspartei (...) nationale Strategien, Pläne oder Programme zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt entwickeln oder zu diesem Zweck ihre bestehenden Strategien, Pläne und Programme anpassen" wird.

Auch wenn Biodiversität global verhandelt wird und die Strategie zum Stopp des Verlustes an Arten- und Biotopvielfalt von der Bundesregierung und von der Europäischen Union erarbeitet wird – sind auch Länder und Kommunen in der Verantwortung und es gibt große Möglichkeiten auf Landesebene für entschiedenes Handeln.

Das in Niedersachsen völlig unzureichend umgesetzte Natura 2000-Netzwerk allein kann den Rückgang der biologischen Vielfalt nicht aufhalten. Den Schutz biologischer Vielfalt als Querschnittsaufgabe begreifen heißt auch, außerhalb der gekennzeichneten Schutzgebiete die biologische Vielfalt zu erhalten und wiederherzustellen.

Selbst die schwarz-rote Bundesregierung hat per Beschluss vom 7.11.2007 in ihrer Strategie zur Biologischen Vielfalt die Bundesländer aufgefordert, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, um die nationalen Ziele zum Schutz der Biologischen Vielfalt zu erreichen.

Das wenigste davon wird in Niedersachsen umgesetzt. Das Land Niedersachsen darf sich hier nicht aus seiner Verantwortung stehlen. Es muss seinen Beitrag zur Erfüllung der nationalen Ziele leisten und einen konkreten Aktionsplan erstellen, aus dem klar wird, wann und wie der Schutz der Biologischen Vielfalt in Niedersachsen verwirklicht wird.

Neben dem Aktionsplan ist auch ein Beitritt des Landes zur "Countdown 2010-Kampagne" (www.countdown2010.net) der internationalen Naturschutzvereinigung IUCN (International Union for the Conservation of Nature and Natural Resources) überfällig. Die Initiative greift die politisch getroffenen Verpflichtungen, den Verlust an Biodiversität bis 2010 zu stoppen auf und verpflichtet die Unterzeichner zu konsequentem Handeln.

Das Motto der IUCN-Kampagne lautet: "Biodiversität ist lebenswichtig – und in Gefahr. Unsere Regierungen haben versprochen, den Biodiversitätsverlust bis 2010 zu stoppen. Höchste Zeit, den Worten Taten folgen zu lassen."

Fraktionsvorsitzender  

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