Antrag: 30 Jahre Mauerfall – Ende von Abschottung, Todesstreifen und Unterdrückung

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Am 9. November 2019 jährte sich mit dem Fall der Berliner Mauer, das Ende des innerdeutschen Todesstreifens. Niedersachsen besaß den längsten Teilabschnitt der innerdeutschen Grenze und war daher erheblich von der Teilung betroffen. Mit dem Amt Neuhaus stand ein Teil des heutigen Niedersachsens unter dem Regime der DDR.

Für diplomatische Annäherungen, aber auch Reiseerleichterungen und menschenrechtliche Fortschritte sorgte maßgeblich die Entspannungspolitik von Willy Brandt. Insbesondere auch der Anerkennungs- und Versöhnungsprozess mit den osteuropäischen Ländern ermöglichte eine wachsende Gesprächsbereitschaft zwischen den Staaten und eine Zunahme von zivilgesellschaftlichen Kontakten und privaten Begegnungen.

Der Durchbruch der Berliner Mauer wäre ohne die Befreiungsbewegungen in Polen, Ungarn und der CSSR nicht denkbar. Diese Bewegungen ebneten den Weg für den Freiheitskampf der Menschen in der DDR. Voraussetzung war die Aufhebung der Breschnew-Doktrin durch den damaligen Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, die es den Ostblockstaaten ermöglichte, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ohne einen Einmarsch sowjetischer Truppen befürchten zu müssen.  Nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs durch Ungarn im Frühjahr 1989 kam es zu immer stärkeren Fluchtbewegungen und die Massendemonstrationen der Bürgerrechtsbewegungen gegen das kommunistische Regime brachten die SED-Diktatur letztendlich zu Fall. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl ergriff zusammen mit dem Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher entschlossen die Gelegenheit des Falls der Berliner Mauer und brachte die Wiedervereinigung Deutschlands bis zum 3. Oktober 1990 auf den Weg. Der 30. Jahrestag des Falls der innerdeutschen Grenze ist Anlass zum Gedenken an die Opfer und die Folgen der deutschen Teilung.

Die Vollendung der staatlichen Einheit unseres Landes war möglich, weil mutige Männer und Frauen in der ehemaligen DDR die Voraussetzungen schufen, um die Berliner Mauer zum Einsturz zu bringen. Damit glückte eine friedliche und demokratische Revolution.  Vor über 30 Jahren ist die Mauer gefallen, verschwanden die Grenzzäune und der Todesstreifen, die unser Land lange geteilt hatten.

Zu verdanken ist dies vor allem den Bürgerinnen und Bürgern in der ehemaligen DDR, die durch ihr nachhaltiges Eintreten für Menschen- und Bürgerrechte den Boden für die erfolgreiche Protestbewegung des Jahres 1989 bereiteten. Trotz drohender Repression haben sich insbesondere Menschen aus der Zivilgesellschaft, aus Kirchengruppen, aus der Bürgerrechts- und der Umweltbewegung sowie viele Kulturschaffende für Demokratie, Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und Freizügigkeit eingesetzt. Auch die systematische Bespitzelung durch den Überwachungsapparat des Ministeriums für Staatssicherheit, Ausbürgerungen, Verhaftungen, willkürliche Repressalien, ja sogar Folter, haben den Freiheitswillen dieser couragierten Bürgerinnen und Bürger nicht aufhalten können. Sie sind es, denen unser Respekt gilt und die sich in ganz besonderem Maße für die Demokratie und die Einheit Deutschlands verdient gemacht haben. Die Teilung Deutschlands und die Gründung zweier deutscher Staaten war eine unmittelbare Folge des vom nationalsozialistischen Deutschland ausgegangenen Zweiten Weltkriegs. Mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961, einem totalen Ausreiseverbot, der völligen Abriegelung der Westgrenze der DDR und dem Ausbau zum Todesstreifen erreichte die Teilung schließlich ihren traurigen Höhepunkt. Die Spaltung Berlins und die Spaltung Deutschlands gingen einher mit der Spaltung Europas und großer Teile der Welt. Die Mauer trennte mit Beton, Stacheldraht, Schießbefehl, Anti-Personen-Minen und Selbstschussanlagen einen ganzen Kontinent, aber vor allem trennte sie Freunde und Familien. Die Missachtung von Menschenrechten, die Unterdrückung demokratischer Strukturen, die Verfolgung von Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern im Land und die Totalität des Überwachungsapparats sind nicht nur Folge ideologischer Herrschaftsansprüche und politischer Verblendung, sondern auch Maßnahmen, die der territorialen Sicherung der DDR vor dem Hintergrund einer weitgehend militärisch gestützten Blockkonfrontation dienten. Ein „Kalter Krieg im Inneren“, der sich gegen die eigene Bevölkerung richtete.

Niedersachsen hat als erstes westdeutsches Bundesland beschlossen, die Machenschaften der Stasi in Niedersachsen gründlich zu untersuchen. Unser Land leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung. Dies ist vor allem für viele DDR-Opfer wichtig, die noch heute unter den Taten von Verfolgung, Haft oder Flucht leiden.

Der Prozess der sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Vereinigung dauert bis heute an. Auch die historische Aufarbeitung der Umstände der Wiedervereinigung, die auch zu gesellschaftlichen Verwerfungen beigetragen haben, bleibt eine Aufgabe für alle politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen. Die Arbeit an der Vollendung der Einheit bleibt daher auf der politischen Tagesordnung. Die deutsche Einheit ist angesichts zweier Weltkriege, die maßgeblich von Deutschland zu verantworten sind, ohne den europäischen Integrationsprozess nicht denkbar. Dieser Prozess sorgt bei unseren Nachbarn und der Welt für das notwendige Vertrauen, dass das wieder vereinte Deutschland Ausdruck des erfolgreichen friedlichen Zusammenlebens auf unserem Kontinent ist und keine Bedrohung mehr darstellt. Die glückliche historische Fügung der deutschen Einheit, das Wissen darum, dass Freiheit und Menschenrechte keine Grenzen kennen, beflügeln zudem die Vision vom gemeinsamen Haus Europa - den Vereinigten Staaten von Europa. Hier können Freiheit, Demokratie und Solidarität, Nächstenliebe und Toleranz gemeinsam und in Frieden gelebt werden. Die deutsche Einheit ist daher mehr denn je auch Ermutigung und Auftrag, den europäischen Integrationsprozess weiter voran zu treiben.

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