Anne Kura: Erwiderung auf die Regierungserklärung „Ein Jahr russischer Angriffskrieg auf die Ukraine: Niedersachsen in Zeiten der Zeitenwende“

TOP 2: „Ein Jahr russischer Angriffskrieg auf die Ukraine: Niedersachsen in Zeiten der Zeitenwende“ Erwiderung zur Regierungserklärung

- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleg*innen, sehr geehrte Frau Generalkonsulin Dr. Tybinka,

über den 24. Februar 2022 sagt der ukrainische Premierminister Schmyhal: „Das ist ein Tag, an dem für alle Ukrainer und für mich alles andere zum Stillstand kam und wir uns auf den Krieg konzentrierten. Das Jahr, das seither vergangen ist, ist wie ein einziger Tag verflogen. Ein langer, schwerer Tag, voller Verluste und Leid.“

Seit fast einem Jahr lässt Putin die gesamte Ukraine bombardieren. Auf seinen Befehl tötet die russische Armee in der Ukraine. Auf seinen Befehl sterben jeden Tag Menschen: ukrainische – und russische. Auf seinen Befehl wird die zivile Infrastruktur in Städten und Dörfern beschossen. Auf seinen Befehl verlieren Ukrainer*innen ihr Zuhause, ihre Kinder, ihre Eltern, ihr Leben.

Liebe Kolleg*innen und Kollegen,

weder für den Angriff noch für die Art und Weise, mit der Russland diesen Krieg führt, gibt es irgendeine Rechtfertigung.

Wir stehen auf der Seite der Angegriffenen – ohne Wenn und Aber. Wir trauern um die Opfer dieses brutalen Angriffskriegs – auf beiden Seiten. Wir sind solidarisch mit der Ukraine – uneingeschränkt. Wir unterstützen sie mit humanitärer Hilfe, mit finanzieller Hilfe und auch mit Waffen. Und das nicht aus Kriegstreiberei, sondern um die Ukraine in Ihrem Kampf um Souveränität und Selbstbestimmung zu unterstützen. Das Ziel dieser Unterstützung ist es, Leiden zu lindern und die Gewalt und weitere Verbrechen in und an der Ukraine zu stoppen.

Wir sind nicht bereit, Krieg als Normalzustand zu akzeptieren. Es gibt daher nur eine Forderung an den Angreifer Putin: „Ziehen Sie ihre Truppen zurück. Stoppen Sie das Töten in der Ukraine. Beenden Sie diesen Krieg. Nur dann gibt es Frieden.“

Anrede,

Ich verstehe jede und jeden, dem der Krieg Sorgen macht. Das derzeit besonders umkämpfte Bachmut liegt mit 2225 km näher an Hannover als Lissabon (2395 km) oder Athen (2332 km).
Und ich verstehe die, die sich einen schnellen Frieden wünschen. Mir – ja, ich denke, allen hier - wäre nichts lieber als das.
Frieden aber muss Souveränität und Sicherheit für die Menschen in der Ukraine schaffen und ihr Leid beenden.
Wer dauerhaften Frieden in Europa will, der darf Angriffskriege nicht belohnen.

Ich habe deshalb kein Verständnis dafür, wenn der Ruf nach Frieden als Deckmantel für eine Täter-Opfer-Umkehr dient.

Dass die Folgen der russischen Aggression auch unser Land Gesellschaft und jede einzelne Bürger*in treffen, hat der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung eindrücklich erläutert.

Nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung haben die Kriegsfolgen aufgrund der gestiegenen Energiepreise Deutschland im Jahr 2022 rund 100 Milliarden Euro gekostet.
Dies ist auch in Niedersachsen für viele Menschen mit Sorgen und Zumutungen verbunden.

Auch dafür ist Putin verantwortlich. Es ist dennoch unsere Verantwortung als Demokrat*innen, darauf politisch zu reagieren.
Und ich finde, hier hat unsere Demokratie im letzten Jahr ihre Stärke gezeigt. Dafür haben die Parlamente, die Regierungen im Bund und im Land, aber gerade auch die Kommunen viel getan.

Wir haben erstens Nothilfe geleistet: Wir haben allein in Niedersachsen über 110.000 Menschen aus der Ukraine Zuflucht gegeben. Der größte Dank dafür gilt den Kommunen – uns den vielen Helfer*innen im Land.
So gehen aktuell in Niedersachsen über 20.000 Schüler*innen aus der Ukraine zur Schule. Lehrkräfte und Mitarbeiter*innen leisten hier hervorragende Arbeit.

Die Herausforderungen, weitere Geflüchtete gut unterzubringen, steigen. Es geht nicht nur um die Unterbringung, sondern auch um Integration: Und ich will noch einmal sehr deutlich Richtung Berlin sagen: Hier muss der Bund die Länder und Kommunen besser unterstützen:

Nur gemeinsam können wir das leisten, was jetzt notwendig ist bei Integrations- und Sprachkursen, Personal, Unterkünften und mehr Schul- und Kitaplätzen. Die rot-grüne Koalition in Niedersachsen setzt alles daran, den Kommunen noch besser unter die Arme zu greifen. Doch ohne den Bund wird es nicht reichen. Vom nächsten Geflüchteten-Gipfel muss also mehr als eine Absichtserklärung ausgehen. Wir erwarten von Innenministerin Faeser und Finanzminister Lindner konkrete Zusagen.

Anrede,

auch auf die steigenden Preise und die Folgen der Inflation haben wir reagiert. Die Parlamente haben Entlastungspakete beschlossen: um finanzielle Härten abzufedern, den Wirtschaftsstandort zu sichern und soziale Infrastruktur zu sichern. In Niedersachsen haben wir direkt nach der Landtagswahl ein Sofortprogramm in Milliardenhöhe beschlossen.

Gerade Menschen mit wenig Geld sind auf Unterstützung und auf einen funktionierenden Staat angewiesen.
Wir haben schon in der Corona-Krise erlebt, dass unser Gemeinwesen an zu vielen Stellen auf Kante genäht oder zu schlecht ausgestattet ist: bei der Pflege, in Schulen und Kitas, bei der Bahn.

Das ist das Resultat einer jahrelangen Politik des Kaputtsparens unserer Infrastruktur und unseres Gemeinwesens.
Die Zeitenwende bedeutet auch, dass wir aus dieser Sackgasse raus müssen, im Bund und in Niedersachsen. Wir müssen wieder in zentrale Bereiche unseres Gemeinwesens investieren.

Wir haben außerdem für die Energiesicherheit in unserem Land gesorgt: Stromausfälle und Gasmangellage sind bislang ausgeblieben.

Dafür haben viele Menschen in ihrem Alltag und an ihrem Arbeitsplatz, in Behörden, Handwerk, Gewerbe und Industrie massiv Energie gespart.

Und es ist unter besonderen Anstrengungen unseres Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck gelungen, die Gasspeicher so zu füllen, dass wir sicher durch diesen Winter kommen. Auch der milde Winter hat dazu beigetragen.

Wir haben die fatale und selbst verschuldete Abhängigkeit vom russischen Gas innerhalb eines Jahres beendet. Der Wermutstropfen: Die Alternativen sind zum Teil klimaschädlicher und teurer. Deswegen ist ganz klar: Die Zukunft kann nur in den Erneuerbaren liegen.

Liebe Kolleg*innen,

die Folgen des schrecklichen Angriffskriegs lassen uns spüren, wie verwundbar wir auch in Deutschland sind.
Eine politische Zeitenwende ist mehr als Nothilfe und Reparaturbetrieb. Mehr als nur Re-agieren.

Zeitenwende bedeutet für uns, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die notwendigen Veränderungen aktiv und vorausschauend zu gestalten.
Dabei verfolgen wir ein klares Ziel: Die klimaneutrale Gesellschaft. Für Freiheit, Sicherheit und nachhaltigen Wohlstand.
Dafür müssen wir unabhängig werden von fossilen Energien. Wir mussten erleben, wie riskant es ist, sich einseitig abhängig von einem Lieferanten zu machen – insbesondere, wenn es sich um ein autoritäres Regime handelt.

Eines der wichtigsten Instrumente dafür ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Der Ministerpräsident hat gesagt: „Wir müssen so schnell wie möglich komplett auf Erneuerbare Energien umsteigen“. Genauso ist das! Und wir tun es endlich auch!
Es ist gut, dass Landesregierung und Bundesregierung hier Hand in Hand arbeiten.

Die Landesregierung hat in sehr kurzer Zeit wichtige Schritte auf den Weg gebracht: Mit der Taskforce Energiewende, den klaren Wind-Ausbauzielen für die Landkreise und dem Ausbau der Servicestelle Windenergie arbeitet sie energisch daran, das Tempo beim Windausbau zu erhöhen – damit Niedersachsen vorangeht.
Jedes neue Windrad, jedes Solarpanel ist ein Beitrag zur Unabhängigkeit, Sicherheit und zur Preisstabilität.
Dafür brauchen wir auch eine starke heimische Solarindustrie. Deshalb arbeiten wir auf allen politischen Ebenen daran, diese Schlüsselindustrie für die Zukunft auch wieder in Europa, Deutschland und Niedersachsen anzusiedeln.

Anrede,

Das zurückliegende Jahr war ein schmerzhaftes. Am leidvollsten war es für die Menschen in der Ukraine. Was Ihre Landsleute, Frau Generalkonsulin Tybinka, durchleben, berührt uns alle. Die Verluste und das Leid sind allgegenwärtig. Aber eines stelle ich auch fest:

Wir haben im zurückliegenden Jahr bewiesen, dass wir als Gesellschaft – zusammenhalten. Aber Kraft entwickeln wir vor allem dann, wenn wir nicht nur zusammenhalten, sondern auch zusammenwirken:

Schaffen wir gemeinsam die Grundlagen für Unabhängigkeit, Sicherheit und Freiheit in Niedersachsen und in Europa.
Einem Europa mit einer unabhängigen freien Ukraine. Und arbeiten wir gemeinsam daran, dass wir sehr bald über den Wiederaufbau der Ukraine sprechen können. Und dass die Menschen in ganz Europa und der Ukraine ein selbstbestimmtes Leben in Frieden und Sicherheit führen können.

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