Änderungsantrag (SPD/CDU/GRÜNE): Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken wiederaufnehmen - ein neues Reaktivierungspro-gramm starten

Fraktion der SPD
Fraktion der CDU
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken wiederaufnehmen - ein neues Reaktivierungsprogramm starten

Antrag der Fraktionen der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 19/535

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Verkehr, Bauen & Digitalisierung - Drs. 19/899

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken wiederaufnehmen – überarbeitetes Bewertungsverfahren für neuen Schwung im Reaktivierungsprozess nutzen

Das Land hat sich das Ziel gesetzt, die Fahrgastzahlen im Öffentlichen Personennahverkehr bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln. Das sehr erfolgreiche 9-Euro-Ticket im Sommer 2022 hat gezeigt, dass viel mehr Menschen als bislang bereit sind, Bus und Bahn zu nutzen. Gleichzeitig hat das Aktionsticket die Schwächen im Nahverkehr deutlich gemacht, weil zusätzliche Kundinnen und Kunden die unzureichende und über Jahrzehnte ausgedünnte Infrastruktur an ihre Grenzen brachten. Neben dem kundenfreundlichen und günstigen Nachfolgeticket, auf das sich Bund und Länder mit dem Deutschland-Ticket einigen konnten, muss es daher parallel auch darum gehen, das Angebot auszubauen und es alltagstauglich und verlässlich zu gestalten.

Die Reaktivierung von alten Bahnstrecken ist im Umbau des Verkehrssektors hin zu mehr klimafreundlicher Mobilität einer von vielen wichtigen Bausteinen, die politisch unterstützt werden müssen. In der 17. Legislaturperiode wurde dieser lange Prozess erfolgreich angestoßen und bislang nur zwei  Projekte umgesetzt. Das überarbeitete Verfahren der Standardisierten Bewertung von Verkehrsweginvestitionen im öffentlichen Personennahverkehr Version 16+ gibt nun weiteren Strecken die Möglichkeit anhand des erweiterten Kriterienkatalogs einen Kosten-Nutzen-Faktor von >1 zu erreichen und damit perspektivisch in den Reaktivierungsprozess aufgenommen zu werden.

Der Ausbau des Streckennetzes über Neubau, Ertüchtigung oder auch Reaktivierung ist auch vor dem Hintergrund eines attraktiven Nahverkehrsangebots wichtig. Maßnahmen wie das D-Ticket kommen nur dann zum Tragen, wenn das Angebot flächendeckend und zuverlässig vorhanden ist. Es wird daher zukünftig höhere Investitionen in Infrastruktur und Angebot des SPNV benötigen.

Der Landtag stellt fest, dass:

  • der begonnene Prozess zur Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken ein wichtiger Baustein im Ausbau des SPNV sowie perspektivisch auch für den Güterverkehr ist und bleibt,
  • das vor Kurzem überarbeitete Verfahren der Standardisierten Bewertung von Verkehrsweginvestitionen im öffentlichen Personennahverkehr Version 16+ die Chance bietet, diesem Prozess mehr Möglichkeiten einzuräumen und in Niedersachsen mehr Reaktivierungen zu erreichen,
  • der in der 17. und 18. Wahlperiode beschlossene und nun neu einberufene Lenkungskreis aus Mitgliedern des Landtags sowie des Nahverkehrsbündnisses und weiteren Fachexpertinnen und Fachexperten die Aufgabe zur weiteren Ausarbeitung des fortgesetzten Reaktivierungsprozesses mit Blick auf das neue Bewertungsverfahren wahrnehmen soll,
  • der Reaktivierungsprozess von Bahnstrecken als unverzichtbarer Bestandteil der Verbesserung des Mobilitätsangebotes in Niedersachsen, gerade auch im ländlichen Raum, schnellstmöglich weitergeführt werden soll.
  • das Land Niedersachsen das erklärte Ziel hat, bis zum Jahr 2030 die Fahrgastzahlen im Nahverkehr im Vergleich zu heute zu verdoppeln und die Reaktivierung von Schienenstrecken ist ein wichtiges Instrument, um die dafür notwendigen Kapazitäten im SPNV auszubauen und vorzuhalten.

Der Landtag begrüßt, dass

  • die Landesregierung zu einem Lenkungskreis eingeladen hat, welcher aus Mitgliedern des Landtags sowie dem Nahverkehrsbündnis und weiteren Fachexpertinnen und -experten besteht und der die Fortsetzung des Reaktivierungsprozesses zeitnah wieder aufnehmen wird.
  • die Landesregierung dem Lenkungskreis die Aufgabe übertragen hat, ein neues Reaktivierungsprogramm inhaltlich vorzubereiten,

Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. in Zusammenarbeit mit dem Lenkungskreis zeitnah ein erweitertes Reaktivierungsprogramm des Landes Niedersachsen aufzulegen und zu begleiten. Ziel muss dabei auch sein, die Mittelzentren und touristischen Destinationen anzubinden und untereinander zu verknüpfen,
  2. eine landesweit umsetzbare Konzeption zu entwickeln, um zeitnah die für eine Reaktivierung in Frage kommenden Strecken zu ermitteln und für eine Bundesförderung anzumelden,
  3. die bisherigen Bemühungen und Interessen der Kommunen und Vorhabenträger in den weiteren Reaktivierungsprozess zu integrieren sowie bei der Erstellung von Machbarkeitsstudien zur Reaktivierung von Bahnstrecken zu unterstützen und die regionalen Unterstützungskonzepte in das landeseigene Konzept einbinden. Das Land wird für die am besten bewerteten Strecken die jeweilige standardisierte Bewertung finanzieren,
  4. die neuen und verbesserten Möglichkeiten durch das novellierte Bundes-GVFG und die neue Verfahrensanleitung der Standardisierten Bewertung des Bundesverkehrsministeriums optimal für den Infrastrukturausbau im SPNV in Niedersachsen zu nutzen und hier vor allem die Anbindung ländlicher Regionen in den Vordergrund zu stellen,
  5. bei der Konzeption und Wirtschaftlichkeitsrechnung neben der bundeseigenen Infrastruktur verstärkt auch auf die zahlreichen niedersächsischen nichtbundeseigenen Eisenbahnen, insbesondere die landeseigene SiNoN und die EVB Elbe-Weser als Eisenbahninfrastrukturunternehmen, zu setzen und zu prüfen, wie insbesondere Nebenstrecken von diesen Gesellschaften übernommen werden können,
  6. sich beim Bund weiter intensiv für eine nochmalige Erhöhung der Regionalisierungsmittel einzusetzen, um zusätzliche SPNV-Leistungen finanzieren zu können sowie
  7. den Bereich Güterverkehr beim Infrastrukturausbau mitzudenken, um mehr Strecken für eine Doppelnutzung von Waren und Personen zu ermöglichen,
  8. das Instrument der Landesbuslinien weiterhin in den betroffenen Kommunen zu fördern, sofern eine Reaktivierung des SPNV zur Anbindung von Mittelzentren ohne Schienenanschluss derzeit nicht besteht und dies als Übergangslösung sinnvoll erscheint, ohne dabei einen negativen Einfluss auf die Bewertung einer Reaktivierung zu haben.

Begründung

Die Reaktivierung von Bahnstrecken ist ein wichtiger Baustein für die Verbesserung einer bedarfsgerechten und nachhaltigen Mobilität in Niedersachsen. Insbesondere der ländliche Raum sollte vom erarbeiteten Reaktivierungsprozess profitieren, sodass hier der Personennahverkehr angebotsorientiert verbessert wird.

Mit der Novelle des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes des Bundes (GVFG), die Anfang 2020 in Kraft trat, und der Veröffentlichung der neuen Verfahrensanleitung der Standardisierten Bewertung am 1.Juli 2022 durch den Bund, haben sich die Möglichkeiten, Schienenstrecken für den Nahverkehr in den Ländern zu reaktivieren, verbessert. Es wurden unter anderem neue Fördertatbestände geschaffen und Mindestvorhabengrößen gesenkt. Die Novellierung des Bundes-GVFG hat erstmals die Möglichkeit eröffnet, auch die Wiederinbetriebnahme von Bahnstrecken zu fördern. Zusätzlich wurden Fördersätze erhöht, sodass der Bund bis zu 90% der Baukosten finanziert sowie die Bundesmittel aufgestockt. Aktuell stehen 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung, ab 2025 dann 2 Milliarden Euro pro Jahr. Die Standardisierte Bewertung misst dabei die Wirtschaftlichkeit von Infrastrukturprojekten im Nahverkehr anhand fester Kriterien. Die dazugehörige Verfahrensanleitung hat für die Länder insofern hohe Relevanz, da nur mit einer nachgewiesenen Wirtschaftlichkeit ein Projekt durch Bundesmittel des GVFG gefördert werden darf. In der neuen Verfahrensanleitung hat der Bund daher neue Kriterien aufgenommen bzw. Schwerpunkte verlagert. So kann sich beispielsweise der erwartete Nutzen für den Schienenpersonenverkehr und den Güterverkehr positiv auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines SPNV-Projektes auswirken. Auch Treibhausgasemissionen, der Flächenverbrauch oder die Anbindung von zentralen Orten werden bei der Gesamtrechnung künftig berücksichtigt. Diese überarbeiteten Regelungen und Möglichkeiten sollte Niedersachsen für den Ausbau der Infrastruktur und ein verbessertes Mobilitätsangebot aktiv nutzen.

Der in der 17. Wahlperiode und nun durch den Verkehrsminister wiedereinberufene Lenkungskreis kann bei seiner Arbeit auf die vorhandene Liste potenzieller Strecken zurückgreifen und die bereits getätigten Anstrengungen der Vergangenheit in das zukünftige Konzept einarbeiten. Besonders die Vor- und Mitarbeit der Kommunen muss weiterhin Eingang in den Reaktivierungsprozess finden und die Aufgabenträger durch das Land und fachlich bei der Erstellung von Machbarkeitsstudien unterstützt werden. Hierzu ist die Erhöhung der Finanzmittel sowohl auf Bundes- als auch Landesebene weiterhin nötig, um auch größere Projekte schnellstmöglich umzusetzen.

Der Güterverkehr darf mittelfristig nicht nur ein Nebeneffekt der Reaktivierung von Strecken für den SPNV sein, sondern muss perspektivisch eigene Förder- und Ausbaumöglichkeiten erhalten. Eine Doppelnutzung der Schieneninfrastruktur ist mit Blick auf das weiter steigende Transportvolumen auf der Straße zwingend nötig.

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