Änderungsantrag Schulgesetz (Kopftuch)
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(zu Drs. 15/970)
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 26.04.04
Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/720
Beschlussempfehlung des Kultusausschusses – Drs. 15/970
Der Landtag wolle den Antrag in der folgenden Fassung beschließen:
1. Dem § 51 werden folgende Absätze 3 und 4 angefügt:
"(3) Wenn Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Ausübung ihrer Bekenntnisfreiheit religiöse oder weltanschauliche Bekundungen – durch äußeres Auftreten, durch Bekleidungsstücke oder sonstige Zeichen – abgeben, darf dies die offene religiös-weltanschaulichen Neutralität des Landes und das gedeihliche Zusammenwirken in der Schule nicht gefährden oder stören. Die Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (§ 61 Abs. 2 NBG) und zur Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung (§ 61 Abs. 3 NBG) bleibt unberührt.
(4) Kommt es durch die in Abs. 3 genannten Bekundungen, nicht zuletzt im Hinblick auf deren politische Wahrnehmung, zu Gefährdungen oder Störungen der offenen religiös-weltanschaulichen Neutralität des Landes oder dem gedeihlichen Zusammenwirkens in der Schule, ist es Aufgabe der Gesamtkonferenz, sich um einen Ausgleich zu bemühen; die betroffene Lehrkraft ist anzuhören. Gelingt ein Ausgleich nicht, kann die Schulleiterin oder der Schulleiter auf Empfehlung der Gesamtkonferenz die Lehrkraft auffordern, die Bekundungen zu unterlassen, solange eine Notwendigkeit dafür besteht. Leistet die Lehrkraft der Aufforderung keine Folge, berichtet die Schulleiterin oder der Schulleiter den Vorgang an die Schulaufsichtsbehörde, die die erforderlichen Maßnahmen trifft."
2. Der Absatz 4 in § 51 wird gestrichen.
3. Dem § 34 wird folgender Abs. 4 angefügt:
"(4) In Bezug auf Maßnahmen nach § 51 Abs. 4 geben die Konferenzen Stellungnahmen und Empfehlungen gegenüber der Schulleiterin oder dem Schulleiter ab."
Begründung
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 den Landesgesetzgeber aufgetragen, das zulässige Maß religiöser Bezüge in der Schule im rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben näher zu bestimmen. Bei dieser Regelung können auch Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden. Entscheidet sich der Landesgesetzgeber für eine Zurückdrängung religiöser Bezüge in der Schule, bedarf es für ein Verbot religiöser Bekundungen durch eine Lehrkraft einer hinreichenden bestimmten gesetzlichen Grundlage. Dabei ist der Landesgesetzgeber zur Gleichbehandlung verschiedener religiöser Bekundungen und der Religionsgemeinschaften verpflichtet.
Ein generelles Verbot religiös-weltanschaulicher Bekundung durch Lehrkräfte im Unterricht ist auch angesichts der kulturellen und religiösen Tradition der schulischen Bildung in Niedersachsen nicht angezeigt. Die Pluralität religiöser weltanschaulicher Überzeugungen, die für unsere Gesellschaft kennzeichnend ist, soll aus der Schule nicht ferngehalten werden, sondern in ihr unter Wahrung der gebotenen offenen Neutralität Ausdruck finden können. Dies ist ein Element unserer freiheitlichen Ordnung, berücksichtigt die religiöse Verwurzelung der Bevölkerung im Lande und steht mit der in der Landesverfassung verankerten Religionsfreiheit und dem Recht auf Bildung in Einklang. Auch für die christlichen Kirchen stellt die Anerkennung voller Religionsfreiheit einen teil ihrer Glaubensbezeugung dar.
Um das gedeihliche Zusammenwirken und die religiös-weltanschauliche Offenheit und Toleranz die in der Landesverfassung verankert ist in der Schule nicht zu gefährden, dürfen Bekundungen der Lehrkräfte keinen provokativen Charakter haben, der eine suggestive Wirkung hervorruft und als missionarische Beeinflussung empfunden werden kann. Da religiös-weltanschauliche Symbole auch in eine politische Dimension geraten und entsprechend wahrgenommen werden können, sind Vorkehrungen zu treffen, die daraus möglicherweise entstehenden Gefahren für den Schulfrieden und das gedeihlichen Zusammenleben in der Schule abwehren. Hierbei geht es um Regelungen, die geeignet sind um Konflikte vor Ort – und nur um solche handelt es sich stets – unter Mitwirkung der Lehrerkräfte, der Schüler und Schülerinnen, der Eltern und er Schulleitung aufzulösen oder zum Ausgleich zu bringen. Hierin liegt eine Chance, um Konflikte partizipativ zu lösen. Es bietet sich ein mehrstufiges Verfahren unter Beteiligung der Gesamtkonferenz und der Schulleitung an, was auch zu einem Zeitweisen Verbot religiös-weltanschaulicher Bekundungen im Einzelfall führen kann. Ein generelles Verbot um abstrakte Gefahren abzuwehren, von denen ungewiss ist, ob sie konkret überhaupt auftreten, wäre völlig unverhältnismäßig und müsste sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Gleichbehandlung der verschiedenen Religionsgemeinschaften auf alle religiös-weltanschauliche Bekundungen erstreckt werden.
Fraktionsvorsitzender