Änderungsantrag: Prävention und Intervention gegen Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlich-keit und Ideologien der Ungleichwertigkeit - ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus

Änderungsantrag
(zu Drs. 17/4541 und 17/5140)

Fraktion der CDU
Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Fraktion der FDP

Prävention und Intervention gegen Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlich-keit und Ideologien der Ungleichwertigkeit - ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 17/4541

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung  - Drs. 17/5140

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Extrem rechte Strukturen und Ideologien sind in der Bundesrepublik nicht nur eine Gefährdung für das demokratische Gemeinwesen, sondern durch rechtsmotivierte und rassistische Bedrohungen, Handlungen und Gewalttaten eine konkrete und reale Gefahr im Alltag für die Betroffenen. Die menschenfeindliche Politik der extremen Rechten mündet zwangsläufig in aggressives Vorgehen gegen diejenigen, gegen die sich ihr Hass und ihre Abwertung richten: geflüchtete Menschen, Menschen anderer Staatsangehörigkeit, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Wohnungslose, LSBTI-Menschen, Menschen mit Behinderung, Menschen, die sich gegen rechte Ideologien engagieren und viele andere.

Demokratiefeindliche und menschenfeindliche Bestrebungen sind eine Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Die im Niedersächsischen Landtag vertretenen Fraktionen stemmen sich mit aller Kraft gegen die unterschiedlichen Bedrohungen. Bei der Bekämpfung der verschiedenen Bestrebungen sind unterschiedliche Präventionsansätze notwendig. Die aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die Aufnahme von Flüchtlingen zeigen, dass es insbesondere gegen Rechtsextremismus schnell eines effektiven Landesprogrammes bedarf.

Diese Bedrohung wird sichtbar in steigenden Zahlen rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt. Spätestens seit der Offenbarung der rechtsextremen Terrororganisation, des sogenannten NSU, wurde der demokratischen Gesellschaft vor Augen geführt, dass Neonazis und andere Rechte nicht nur eine menschenfeindliche Ideologie propagieren, sondern auch bereit sind, diese mit Gewalt gegen die Betroffenen umzusetzen.

Diese Gefährdung geht auch an Niedersachsen nicht vorbei. Mit einem Angeklagten im Münchener NSU-Prozess führt die Spur eines Unterstützers auch nach Niedersachsen. In dessen Haus sind Unterlagen gefunden worden, in denen sich auch Hinweise auf potenzielle Anschlagsziele z. B. in Göttingen oder Peine finden. Auch rassistische Angriffe auf geflüchtete Menschen finden in Niedersachsen statt, so z. B. bei dem Brandanschlag in Salzhemmendorf in der Nähe von Hameln.

Niedersachsen ist kein weißer Fleck auf der Landkarte der extremen Rechten. Neonazis und andere extreme Rechte organisieren sich in unserem Land in Freien Kameradschaften, in losen Netzwerken von neurechten Strömungen, in völkischen Vereinen und Zusammenschlüssen und in extrem rechten Parteien. In Bad Nenndorf sucht sich eine bundesweite, völkische Neonaziszene seit Jahren eine Bühne für ihre geschichtsrevisionistische Propaganda.

Solche extrem rechten Strukturen tauchen dabei nicht aus dem Nichts auf. Grundlage ihrer Entstehung und Nährboden ihrer Entwicklung sind gesellschaftliche Ideologien der Ungleichwertigkeit und daraus resultierende, verbreitete Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Seit Jahren weisen sozialwissenschaftliche Untersuchungen die erschreckend hohe Verbreitung solcher Einstellungsmuster in der Gesellschaft nach, auch für Niedersachsen.

Wenn extrem rechte Strukturen und rechte Ideologien in unserer demokratischen Gesellschaft und ihrem Gemeinwesen entstehen, dann muss eine Strategie zur Bekämpfung der extremen Rechten auch vor allem auf die Ursachen in den sozialen Kontexten der Zivilgesellschaft zielen. Das Problem ist mit den Mitteln der staatlichen Rechts- und Sicherheitsstrukturen nicht zu lösen, also kein ordnungspolitisches Problem. Gerade bei der Unterstützung der Opfer rechter Diskriminierung und rechtsmotivierter Gewalt befinden sich staatliche Institutionen zu oft in einer ambivalenten Situation. Die Neutralitätspflicht formeller Institutionen erschwert zudem ein effektives Vorgehen staatlicher Organisationen gegen die Wurzeln der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, solange noch nicht die Grenzen zur Volksverhetzung überschritten sind.

Um Ideologien der Ungleichwertigkeit und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als Ursachen der extremen Rechten nachhaltig zu begegnen, bedarf es daher einer Strategie, die der Entstehung dieser Wurzeln in ihren sozialen Kontexten begegnet und eine starke demokratische Kultur in einer lebendigen Zivilgesellschaft gegen die extreme Rechte unterstützt. In Niedersachsen gibt es eine Vielzahl engagierter Initiativen, zivilgesellschaftlicher Organisationen und Einzelpersonen, die gegen die extreme Rechte aufstehen und sich mit den Betroffenen solidarisieren. Sie zu stärken, ist der beste Weg, dem Problem der Gefährdung durch die extreme Rechte zu begegnen. Sie verdienen die ganze Unterstützung des Landes, des Landtages und der Landesregierung.

Der Landtag begrüßt,

  • dass die Landesregierung in einem interministeriellen Arbeitskreis dem Problem der extremen Rechten und der verbreiteten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Niedersachsen offensiv mit der Erarbeitung eines Landesprogramms gegen Rechtsextremismus begegnet. Als Folge daraus werden konkrete Schritte zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in der Begegnung mit der extremen Rechten und in der Unterstützung und Stärkung der Betroffenen rechtsmotivierter Gewalt folgen,
  • dass die Landesregierung angekündigt hat, mit einem solchen Landesprogramm die Aktivitäten gegen Rechtsextremismus sowie die Unterstützung der Zivilgesellschaft zur Förderung einer demokratischen Kultur und gegen Rechtsextremismus zu bündeln und die benötigten Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Der Landtag begrüßt ferner das zivilgesellschaftliche Engagement zahlreicher Initiativen, Verbände und lokaler Bündnisse in Niedersachsen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und extrem rechte Bedrohungen wie z. B. bei der ‚ARUG‘, der‘ Amadeu Antonio Stiftung‘ oder dem lokalen Bündnis ‚Bad Nenndorf ist bunt‘.

Rechtsextremisten versuchen über den Protest gegen Geflüchtete und Geflüchtetenunterkünfte die gesellschaftliche Debatte anzuheizen und Ängste zu schüren und nutzen die gegenwärtige Lage um sich selbst wieder stärker zu mobilisieren und neue Anhänger zu gewinnen. Diese Situation gebietet entschiedenes und kurzfristiges Handeln. Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf, das von ihr angekündigte Landesprogramm gegen Rechtsextremismus spätestens zum 30.6.2016 in Kraft zu setzen.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, folgende Aspekte in einer Gesamtstrategie zu berücksichtigen:

  1. die einzelnen Ziele und Maßnahmen zu definieren und regelmäßig zu veröffentlichen,
  2. eine dezentrale, aufsuchende Beratung für Opfer rechter und rassistischer Gewalt in unabhängiger und fachlich qualifizierter Trägerschaft. Die fachlichen Qualitätsstandards der Beratung und Betreuung von Betroffenen rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt wären dabei zu berücksichtigen,
  3. ein Vergabesystem zur niedrigschwellig antragsbasierten Förderung von kurzfristigen zivilgesellschaftlichen Projekten für demokratische Kultur und politische Bildung gegen Rechtsextremismus von freien, nicht-staatlichen Trägern,
  4. eine Vernetzung und engen Austausch zwischen den staatlichen Akteuren und Akteuren der Zivilgesellschaft zu organisieren, um Bedarfe und neue Entwicklungen zu ermitteln und Gegenstrategien abzustimmen sowie Doppelstrukturen und ineffektive Maßnahmen zu vermeiden. Eine Weiterentwicklung der guten Vernetzungsarbeit des Landespräventionsrates ist an dieser Stelle zu prüfen. die allgemeinbildenden und weiterführenden Schulen in Niedersachsen bei der Einführung eines Landesprogramms einzubeziehen. Bereits in den Schulen muss schon sehr früh die Prävention gegen antidemokratisches Gedankengut beginnen. Erprobte Projekte, wie die „Schulen ohne Rassismus - Schulen mit Courage“, haben bewiesen, dass die Bedeutung von Sensibilisierung bereits im Vorfeld nicht gering zu schätzen ist. Dort jedoch, wo es bereits rechtsextreme Vorfälle und rechtsaffine Stimmungen gibt, müssen die Schulen in Fragen der Intervention und Konfliktbearbeitung gestärkt und beraten werden. Über die Institution Schule können alle jungen Menschen in Niedersachsen erreicht werden und bereits hier kann sehr frühzeitig und nachhaltig mit der Erziehung zur Demokratie, Teilhabe und Mündigkeit begonnen werden. Der gesamtgesellschaftliche Auftrag eines Landesprogramms wird gerade im Schulbereich somit unterstrichen,
  5. nötigenfalls spezifische Förderung von offener Jugend(bildungs)arbeit zur Radikalisierungsprävention bei rechtsaffinen Jugendlichen bei den kommunalen Trägern sowie eine Einbindung des Landesjugendamts und weiterer Träger der niedersächsischen Jugendbildungsarbeit zu prüfen,
  6. eine Berücksichtigung der neu einzurichtenden Landeszentrale für politische Bildung als wichtigen Partner und Akteur im Rahmen einer Strategie des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus,
  7. außerdem eine Kooperation mit einer einzurichtenden wissenschaftlichen Dokumentationsstelle, die u. a. die Aktivitäten und Potenziale des Rechtsextremismus auf der Grundlage wissenschaftlicher Standards analysiert. Hier könnte auch die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der anderen Programmhandlungsfelder angesiedelt werden.
  8. eine Evaluation des Landesprogrammes gegen Rechtsextremismus und dessen Maßnahmen regelmäßig vorzusehen.
Zurück zum Pressearchiv