Änderungsantrag: BAföG weiterentwickeln statt unsinnigem Stipendienprogramm
Fraktion Bündnis90/Die Grünen
Hannover, den 06.09.2010
Jetzt die Weichen für die Zukunft stellen: BAföG weiterentwickeln statt unsinnigem Stipendienprogramm
Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2401
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 16/2758
Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
- dass das von der Bundesregierung geplante Nationale Stipendienprogramm an der sozialen Schieflage des deutschen Bildungssystems nichts ändern wird, da die Stipendien nicht nach sozialen Kriterien vergeben werden;
- dass insbesondere Studierende aus bildungsnahen und einkommensstarken Familien die notwendigen hervorragenden Studienleistungen erbringen um Stipendien nach Leistungskriterien zu erhalten und, dass empirische Untersuchungen belegen, dass das deutsche Stipendiensystem die Abhängigkeit von der Herkunft nicht ausgleicht, sondern diese noch verstärkt. Der Anteil der Stipendiaten aus Elternhäusern mit hohem Sozialstatus liegt bspw. bei der Studienstiftung des deutschen Volkes bei 64 %;
- dass das von der Bundesregierung geplante Nationale Stipendienprogramm durch die Ablehnung der Fachausschüsse des Bundesrates und durch den ergebnislosen Bildungsgipfel zwischen Bund und Ländern am 10.06.2010 bereits im Vorfeld als gescheitert betrachtet werden kann. Auch wenn sich der Bund inzwischen dazu entschieden hat, die Kosten der öffentlichen Hand komplett zu übernehmen, so ist er doch von seinem Ausbauziel stark abgewichen, so dass im nächsten Jahr ohnehin von den ursprünglich geplanten 110.000 nur noch 6.000 Stipendien vergeben werden sollen;
- dass ausweislich der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abg. Gabriele Heinen-Kljajic vom 03.05.2010 (Drs. 16/2689) und Medienberichten zufolge bereits jetzt Hochschulen bezweifeln, dass sie die Hälfte der Stipendienmittel bei der Wirtschaft werden einwerben können – jedenfalls nicht, ohne das dies auf Kosten bereits bestehender Sponsoring-Projekte ginge. Dieser Umstand wird insbesondere auf die geisteswissenschaftlichen Fächer zutreffen. Zudem ist noch immer ungeklärt, aus welchen Mitteln die Hochschulen die Auswahlverfahren bestreiten sollen;
- dass das derzeitige Studienfinanzierungsmodell der Bundesrepublik Deutschland reformbedürftig ist, da das BAföG, trotz all seiner Verdienste, letztlich nicht dazu in der Lage ist, den Anteil der Studierenden aus den sog. bildungsfernen Schichten weiter zu erhöhen, da offensichtlich viele dieser jungen Leute vor dem BAföG-Schuldenberg, der sich durch die hälftige Rückzahlung ergibt, zurückschrecken;
- dass ausweislich der neuen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks der Finanzierungsanteil der Eltern an der Studienfinanzierung zurückgeht und gleichzeitig der Anteil der Finanzierung durch eigenen Verdienst ansteigt, was Bundesbildungsministerin Schavan laut DSW-Journal 02/2010 als "beunruhigend" bezeichnet;
- dass ein großer Teil der Mittel die für die Studienfinanzierung in Deutschland aufgebracht werden nicht direkt an die Studierenden, sondern in Form von Kindergeld bzw. Steuerfreibeträgen an deren Erziehungsberechtigte fließt und somit wiederum insbesondere die einkommensstarken Familien von diesem System profitieren;
- dass es demnach endlich Zeit ist, den Einstieg in eine sozial gerechte Bildungsfinanzierung zu wagen, die Studierende wie Erwachsene behandelt, das BAföG weiterentwickelt und die familienbezogenen Leistungen nicht den Eltern, sondern den Studierenden direkt auszahlt.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- sich gegenüber dem Bund für eine Rücknahme des Nationalen Stipendienprogramms einzusetzen und dem Bund zu empfehlen, die dafür geplanten Finanzmittel in eine bessere Ausstattung des BAföG zu investieren;
- sich kurzfristig gegenüber dem Bund und den anderen Ländern im Zuge der geplanten Novellierung des BAföG im Vermittlungsausschuss am 14.09.2010 nicht für eine Anhebung der Bedarfssätze um 2 % und der Elternfreibeträge um 3 %, sowie für die Anhebung der Altersgrenze auf 35 Jahre einzusetzen, sondern, wie vom Deutschen Studentenwerk gefordert, für eine Anhebung der Bedarfssätze um 4 % und der Elternfreibeträge um mindestens 5 %, sowie für eine Abschaffung der Altersgrenze einzutreten;
- sich darüber hinaus auf Bundesebene zeitnah für eine moderne Studienfinanzierung in Deutschland einzusetzen, die sozial ausgewogen und bedarfsgerecht ist und allen Studierenden, unabhängig von ihrer Herkunft, ein stabiles Fundament ihrer Studienfinanzierung bietet und somit die Attraktivität des Studiums für alle jungen Leute erhöht. Dafür müssen folgende Bausteine eines Zwei-Säulen-Modells umgesetzt werden:
- Einführung einer Sockelförderung für alle Studierenden
- Einführung eines elternabhängigen Bedarfszuschusses
- Einführung der bedarfsabhängigen Gewährung von Wohngeld und Krankenkassenzuschüssen
Begründung
Die aktuell geplante BAföG-Novelle weist in die richtige Richtung. Sie ist aber finanziell nicht ausreichend ausgestattet und entspricht noch nicht einmal der Preis- und Einkommensentwicklung seit Herbst 2007, wie das Deutsche Studentenwerk in seiner Stellungnahme zur Anhörung dargelegt hat. Angesichts der finanziellen Lage von Bund und Ländern ist es daher umso wichtiger, dass das geplante Stipendienprogramm wieder zurückgenommen wird und die Gelder in den Ausbau des BAföGs fließen.
Junge Menschen aus bildungsfernen Elternhäusern erwerben in Deutschland viel seltener die Hochschulzugangsberechtigung als in anderen OECD-Ländern. Auch bei den Studienberechtigten ist die soziale Herkunft entscheidend, ob ein Studium aufgenommen wird. Nach wie vor sind an den Hochschulen Arbeiterkinder stark unterrepräsentiert. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass eine gute und auskömmliche Studienfinanzierung eine maßgebliche Rolle dafür spielt, ob sich junge Menschen für ein Studium entscheiden. Vor allem finanzielle Gründe werden genannt, wenn es zum Studienverzicht und -abbruch kommt.
Eine gute, auskömmliche und gerechte Studienfinanzierung ist jedoch mit dem nationalen Stipendienprogramm nicht zu erreichen. Auch eine Anhebung des derzeitigen BAföG-Satzes und der Elternfreibeträge kann die Studierendenquote von Kindern aus eher einkommensschwachen und bildungsfernen Familien langfristig nicht signifikant verbessern. Der Aufbruch zu einer besseren, gerechteren, verlässlicheren und leistungsfähigeren staatlichen Studienfinanzierung führt daher über ein Mischmodell aus bedarfsabhängigen und -unabhängigen Elementen.
Mit dem Zwei-Säulen-Modell soll das zentrale Ziel verfolgt werden, an den Hochschulen unterrepräsentierte Gruppen stärker für ein Studium zu gewinnen und die Teilhabechancen aller zu erhöhen. Das Zwei-Säulen-Modell kombiniert dabei einen einheitlichen Sockelbetrag, der allen Studierenden elternunabhängig zugute kommt, mit einem Zuschuss für Studierende aus einkommensarmen Elternhäusern als starke soziale Komponente. Beide Säulen sind als Vollzuschüsse gestaltet.
Mit Säule 1 erhalten alle Studierenden eine Sockelförderung in gleicher Höhe als Basisabsicherung. Damit geben wir allen Studienberechtigten einen Anreiz, tatsächlich ein Studium aufzunehmen, womit die Studienanfängerquote gesteigert werden kann. Mit Säule 2 wird eine unerlässliche soziale Komponente gesichert: Der neue Bedarfszuschuss ist als Vollzuschuss geplant und muss – anders als das jetzige BAföG – nicht zurückgezahlt werden. Denn es sind überwiegend finanzielle Gründe, weshalb in eher einkommensarmen und bildungsfernen Familien derzeit die meisten Bildungspotenziale brachliegen. Daher würden diese Studierenden mit dieser Maßnahme ganz gezielt begünstigt werden. Mit den beiden Säulen könnten Studierende, zuzüglich etwaiger Wohngeldansprüche und Ausgaben für die Krankenversicherung, deutlich mehr als beim derzeitigen BAföG-Höchstsatz erhalten.
Neu an diesem Zwei-Säulen-Modell ist, dass das Geld direkt bei den Studierenden ankommt. Im Falle eines Studiums wird allen Studierenden der bedarfsunabhängige Studierendenzuschuss direkt gezahlt, der aus dem bisherigen Kindergeld bzw. Teilen der steuerlichen Freibeträge, die bislang den Eltern für studierende Kinder gewährt wurden, gegenfinanziert wird.
Gabriele Heinen-Kljajic
Parlamentarische Geschäftsführerin