Änderungsantrag: Vertreibung und Gewalt nicht vergessen - Leistung der deutschen und jüdischen Zugewanderten aus Russland anerkennen

Antrag Vertreibung und Gewalt nicht vergessen - Leistung der Deutschen aus Russland anerkennen - Drs. 18/1544

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 18/1721

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Vertreibung und Gewalt nicht vergessen - Leistung der deutschen und jüdischen Zugewanderten aus Russland anerkennen

Die aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks und vor allem der früheren Sowjetunion zu uns nach Deutschland gekommenen Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler sowie Jüdinnen und Juden sind ein Bestandteil unseres Gemeinwesens und prägen bis heute die deutsche Identität mit. Sie hatten und haben maßgeblich Anteil an der gesamteuropäischen Geschichte und sind gleichzeitig ein Musterbeispiel gelungener Zuwanderung und Integration. Die Erinnerung an ihre reiche und bewegende Geschichte, ihre kulturellen Werte und ihre teils jahrhundertealten Traditionen müssen über die Generationen hinweg wachgehalten werden.

In der Zarenzeit nach Russland gerufen, hatte die deutsche Minderheit dort in Frieden und Eintracht gelebt. Die Deutschen waren willkommene, begehrte und innovative Einwanderer. Das sogenannte Einladungsmanifest, das Zarin Katharina die Große im Jahr 1763 erlies, war der Grundstein für diese historische Erfolgsgeschichte, von der das Russische Zarenreich erheblich profitierte.

Das vergangene Jahrhundert jedoch bedeutete für die in Russland lebenden Deutschen einen gravierenden Einschnitt. Symbolhaft hierfür steht das Schicksalsjahr 1941. Mit dem Einmarsch der nationalsozialistischen deutschen Truppen in Sowjetrussland wurde eine Spirale der Gewalt in Gang gesetzt. Die Wolga- und Schwarzmeerdeutschen fielen unter Generalverdacht der stalinistischen Diktatur. Das Dekret der Sowjetregierung vom 28. August 1941 brandmarkte ehemals willkommene und geachtete Bürger pauschal zu Staatsfeinden - und das mit schrecklichen Konsequenzen: Innerhalb weniger Monate wurde fast eine Million Deutscher aus ihren angestammten Siedlungsgebieten an der Wolga und in der Südukraine vertrieben, nach Sibirien oder Mittelasien verschleppt und zur Zwangsarbeit gezwungen. Viele überlebten diese unmenschlichen Strapazen nicht.

Die Deportation der Russlanddeutschen war eine Tragödie. Sie hat tiefe Spuren hinterlassen, nicht nur bei der Generation derer, die das erleben mussten, sondern auch bei ihren Kindern und Enkelkindern. Sie alle hatten besonders hart unter den Folgen des 2. Weltkriegs zu leiden. Dennoch pflegten sie ihre kulturellen Traditionen und Werte. Nicht selten mussten sie dafür schwerwiegende Nachteile in Kauf nehmen. Deshalb hat Deutschland bis heute eine besondere Verantwortung für die Deutschen aus Russland und ihre Familien.

Wie viele andere deutschstämmige Vertriebene haben auch die Russlanddeutschen trotz des ihnen zugefügten Leids nie aufgegeben. Sie haben sich der Aussöhnung der Völker verschrieben und den Blick nach vorne gerichtet. Und das, obwohl sie auch nach dem Krieg noch jahrzehntelang drangsaliert und schikaniert wurden und erst spät eine neue Heimat fanden.

Neben Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern kamen auch jüdische Zugewanderte aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese Menschen, die als sog. Kontingentflüchtlinge einwanderten, bilden heute die Grundlage wieder aufblühender jüdischer Gemeinden in Deutschland, dem Land der Shoa. Hätte diese Einwanderung so nicht stattgefunden, gäbe es vermutlich keine jüdischen Gemeinden jenseits der großen Städte und Metropolen mehr. Der niedersächsische Landtag ist froh und dankbar, dass es wieder jüdisches Leben in Niedersachsen und Deutschland gibt.

Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir die Geschichte, aber auch die vielen Erfolge, Fähigkeiten und Fertigkeiten der zu uns „zurück“-gekehrten Deutschen und Jüdinnen und Juden aus Russland einer breiten Öffentlichkeit vermitteln. Ihre Anstrengungen und ihre Zielstrebigkeit in Schule, Beruf oder Freizeit und ihre aktive Rolle in Staat und Gesellschaft können gerade heute vielen anderen Migranten, die zu uns kommen und Teil unserer Gesellschaft sein wollen, Mut machen und Vorbild sein.

Vor diesem Hintergrund bitten wir die Landesregierung,

  1. die historischen Leistungen der deutschen und jüdischen Zugewanderten aus Russland, ihre erfolgreiche soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration und ihre Verdienste für die Versöhnung in einem friedlichen Europa und ihren vorbildlichen Verzicht auf Gewalt und Vergeltung wo immer möglich zu dokumentieren und insbesondere beim Ausbau des Friedland-Museums in geeigneter Form zu berücksichtigen,
  2. das ehrenamtliche Engagement der Landesgruppe Niedersachsen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland nachhaltig zu unterstützen und in Zusammenarbeit mit dem Bund der Vertriebenen zu fördern,
  3. eine Bundesratsinitiative zu prüfen, deren Ziel es ist, einen finanziellen Nachteilsausgleich bei der Rentenberechnung für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler bzw. ein Ende der Benachteiligung jüdischer Zugewanderter zu erreichen, der die Arbeitsleistung im Herkunftsland angemessen berücksichtigt, um auch in diesem Bereich und insbesondere vor dem Hintergrund der historischen Leistungen Altersarmut zu vermeiden.
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