Bündnis90/Die Grünen im Landtag Niedersachsen - 26.04.2024
LandtagsGrün - Bündnis90/Die Grünen im Landtag Niedersachsen
Liebe Freund*innen,
 
 

die Auswirkungen des Angriffskrieges auf die Ukraine stellen Niedersachsen auch im Bereich der Energieversorgung vor große Herausforderungen. Fürsprecher*innen für klimaschädliche, riskante und wenig effektive Maßnahmen wie Laufzeitverlängerung von AKWs und Gasbohrungen im Watt werden derzeit immer lauter und die Debatte immer aufgeregter. Inzwischen entsteht fast der Eindruck, als sei die Atomkraft der zentrale Hebel zur Bewältigung einer Gaskrise und in der Folge auch einer Stromkrise. Und als seien die Grünen der größte Hemmschuh, für ausreichend Energie zu sorgen - und das, obwohl Robert Habeck mit seiner ambitionierten Politik so viel im Bereich der Erneuerbaren Energien und der Energieeinsparung voranbringt, wie die Bundesregierungen aus CDU/CSU, FDP oder SPD zuvor zusammen nicht.

Für uns Grüne ist klar, dass eine Laufzeitverlängerung nicht zur Debatte stehen kann und dass wir den Atomkonsens nicht leichtfertig aufgeben dürfen. Ein erneuter Stresstest soll nun Klarheit bringen, wie es um die Energieversorgungslage in Deutschland steht. Der letzte Test in diesem Frühjahr sah keinen Engpass, der ein Weiterlaufen der drei verbliebenen Atomreaktoren notwendig machen könnte. Es ist in dieser angespannten Lage unangemessen, dem Ergebnis dieses neuen Tests durch das Schüren von Ängsten vorwegzugreifen, nur um eine Laufzeitverlängerung durchzudrücken. CDU/CSU und FDP agieren absolut unseriös und wollen damit von ihren eigenen Versäumnissen in den letzten Jahrzehnten ablenken, die uns in diese Abhängigkeiten von russischem Gas getrieben haben. Dieses „Blame Game“ mit vordergründigen Schuldzuweisungen an die Kritiker*innen der Atomkraft wird der Lage, in der wir uns befinden, nicht gerecht. Den gesellschaftlichen Konsens zum Ausstieg aus der Atomkraft gibt es nicht ohne Grund. Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie – sie birgt erhebliche Gefahren, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfen. Wohin der leichtfertige Umgang mit der Atomtechnologie führt, zeigt nicht zuletzt das marode Atommülllager Asse bei uns in Niedersachsen. Deswegen muss das Ziel sein, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung, ernsthaft alle Alternativen zu prüfen und voranzutreiben, um eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomreaktoren zu verhindern.

Ich hatte in den letzten Tagen – so wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern – zahlreiche Interviewanfragen zu diesem Thema. Am Ende geht es meist nur noch um die Frage „Wann lenken die Grünen endlich ein und ändern ihre Position?“. Das ist eine sehr verkürzte Debatte, mit der wir da gerade konfrontiert werden. Sie lässt außer Acht, dass wir Grünen – und Robert Habeck allen voran – schon zu vielen unbequemen Entscheidungen bereit waren, um angesichts der Versäumnisse der letzten Regierungen die Energieversorgung unter den gegebenen Rahmenbedingungen schnellstmöglich zu sichern. Dass nun in der Atomfrage ausgerechnet die FDP öffentlich von uns verlangt, endlich einzulenken und unseren Widerstand aufzugeben, ist angesichts dessen, dass sich führende FDP-Funktionäre im Bund und im Land Debatten über Energieeinsparungen wie beim Tempolimit verbohrt verweigern, geradezu grotesk.

Wir wissen: AKWs beinhalten ein hohes Risiko bei wenig Ertrag. Stattdessen müssen wir die Alternativen voranstellen: Es gibt ein enormes Potenzial für Energieeinsparungen bei Gas und Strom. Diese müssen identifiziert und genutzt werden. Das kann auch schnell gehen. Ob in Wohnhäusern, öffentlichen Einrichtungen, Büros und Unternehmen – am besten ist die Energie, die gar nicht erst verbraucht wird. Dazu gehört natürlich auch ein Tempolimit. Zum Schließen einer vermeintlichen Stromlücke können wir an die Kappungsgrenze bei Solardächern oder gerade in Bayern bei Biogas herangehen. Gezielte Einsparungen in Unternehmen bei Strommangel leisten schon heute einen Beitrag, Netze zu stabilisieren. Die Wirtschaft selbst ist zu Einsparungen bereit. Aber anstatt dafür zu werben, oder gar eigene Vorschläge zu entwickeln, fällt denen, die Jahrzehnte auf fossile Energien gesetzt und uns in der Energieversorgung von einem russischen Diktator abhängig gemacht haben, nichts Besseres ein, als mit dem Zurück zur Atomkraft den ältesten und dreckigsten aller Hüte aus dem Schrank zu kramen.

Angesichts dieser aktuellen Debatten wollen wir euch mit diesem Sondernewsletter über die wichtigsten Argumente gegen den diskutierten Streckbetrieb von Atomkraftwerken sowie unsere Positionen auf dem Laufenden halten.

Aber es gibt in diesem Sommer noch andere politische Themen, wo im Land der Schuh drückt und wo wir als führende Opposition im Landtag aktiv sind. Im jährlichen Sommerinterview des NDR habe ich mich mit der Journalistin Martina Thorausch über die anstehenden Landtagswahlen, die Energiekrise, die Inflation, die Schulpolitik und das 9-Euro-Ticket unterhalten. Ihr findet es am Ende dieses Newsletters. Schaut doch mal rein!

Wir leben in bewegten Zeiten, ich wünsche euch, dass ihr im Sommer trotzdem auch abschalten und Kraft tanken könnt!

Eure Julia

In den Medien

Interview Julia Willie Hamburg im Deutschlandfunk, 27. Juli 2022:

Niedersächsische Grünen-Fraktionschefin will Stresstest nicht vorgreifen

Interview Julia Willie Hamburg NDR INFO, 26. Juli 2022:

Grüne:  Jede Form von Laufzeitverlängerung vermeiden

Julia Willie Hamburg bei Hallo Niedersachsen, 25. Juli 2022

"Streckbetrieb“: Sollen Atomkraftwerke doch weiterlaufen? (ab Minute 9)

Im Fokus
Streckbetrieb & Laufzeitverlängerungen von AKWs

Streckbetrieb meint eine Weiternutzung von noch laufenden Atomkraftwerken, inklusive der dort im Einsatz befindlichen Brennstäbe. Dafür wird die Energiemenge gedrosselt. So wäre der Betrieb länger möglich – die Gesamtmenge der produzierten Energie bleibt jedoch gleich. Bundesweit wird vorrangig über Isar 2 in Bayern diskutiert. Dort hat man in den letzten Jahrzehnten die Energiewende und den Netzausbau ausgebremst und ist maximal abhängig von Gaskraftwerken. CDU und FDP fordern auch einen Weiterbetrieb des AKW Emsland in Lingen. Anfragen von uns zeigen, dass das AKW extrem störanfällig und marode ist. Gleichzeitig kommt ein Streckbetrieb laut Betreiber nicht in Frage, weil der Brennstab bereits so weit aufgebraucht ist, dass er ohnehin früher gedrosselt werden muss.

Um einen Streckbetrieb von AKWs zu gewährleisten, müsste das Atomgesetz vom Bundestag geändert werden. Damit wäre Tür und Tor für all diejenigen geöffnet, die nicht nur einen kurzzeitigen Streckbetrieb, sondern sogar eine deutlich darüberhinausgehende Laufzeitverlängerung befürworten (insbesondere Teile von CDU/CSU und FDP).

Unsere Position

Wir müssen verhindern, dass der gesamtgesellschaftliche Konsens über den Atomausstieg aufgeweicht wird und es in Folge des Streckbetriebs zu einer Laufzeitverlängerung durch die Hintertür kommt. Auch ein Streckbetrieb über das gesetzlich vorgegebene Datum 31.12.2022 hinaus wäre eine Laufzeitverlängerung, die mit dem Atomgesetz beschlossen werden müsste und erfordert zwingend die Sicherheitsüberprüfungen, die 2019 angestanden hätten und wegen des anstehenden Ausstiegs vertagt wurden.

Gutgesagt

Für uns Grüne ist klar, dass eine Laufzeitverlängerung nicht zur Debatte stehen kann und dass wir den Atomkonsens nicht leichtfertig aufgeben dürfen.

Julia Willie Hamburg
Fraktionsvorsitzende
Fünf Argumente gegen Streckbetrieb und Laufzeitverlängerung

1. AKWs sind nicht flexibel

Anders als Kohlekraftwerke können AKWs nicht flexibel gefahren werden und damit nicht auf akute Lastspitzen oder Strommangel im Netz reagieren.

2. AKWs verstopfen das Netz zulasten von Erneuerbaren

Wegen ihrer mangelnden Flexibilität verstopfen AKWs schon heute unnötig das Netz, wodurch immer wieder Windenergieanlagen zugunsten von Atomstrom gedrosselt werden müssen. Gerade im Raum Lingen kann deshalb oft weniger Windstrom als möglich genutzt werden.

3. AKWs sind kein Ersatz für Gas

AKWs produzieren Strom und sind als Gas-Ersatz wegen fehlender Wärmegewinnung nicht geeignet.

4. AKWs sind ein Sicherheitsrisiko

Atomkraftwerke bringen große Risiken mit sich – selbst, wenn sie regelmäßig gewartet und intakt sind. Doch für das AKW Emsland bei Lingen ist nicht einmal das gegeben, da die Wartungen 2019 aufgrund des baldigen Laufzeitendes ausgesetzt wurden. Trotz bekannter Korrosionsschäden an Dampferzeuger-Heizrohren, die wir bereits im Mai 2021 scharf kritisiert haben.

5. Die AKWs produzieren nicht viel Strom

Die drei Atomkraftwerke liefern zusammengenommen nur sechs Prozent des Stroms. Das sind Größenordnungen, die durch Einsparungen kompensiert und sogar übertroffen werden könnten.

Gutgesagt

Wir befinden uns jetzt schon in einem Blindflug, was die Unsicherheit der AKWs betrifft.

Miriam Staudte
Atompolitische Sprecherin
Die Debatte lenkt ab!

AKWs beinhalten ein hohes Risiko bei wenig Ertrag. Gleichzeitig wird die Debatte einseitig, voreilig und ohne Rücksicht auf Sicherheitsfragen angeheizt. Wenn ein Stresstest eine Mangelsituation für den kommenden Winter beschreibt, gibt es viele Maßnahmen, die ergriffen werden können, um dieser zu begegnen. Um sicher durch den Winter zu kommen, brauchen wir deshalb die richtige Mischung aus sicheren und flexiblen Alternativen:

Kohlekraftwerke – Das kurzzeitig kleinere Übel

Auch wenn sie natürlich keine Alternative zum Ausbau der Erneuerbaren Energien sind, ist der begrenzte Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken dem Streckbetrieb von AKWs vorzuziehen. Kohlemeiler sind flexibler in ihrer Stromproduktion, können also auf akute Mängel schnell reagieren. Außerdem bestehen hier bereits die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen, damit sie bis Ende April 2023 weiterlaufen können.

Energiesparen – Die beste Strategie

Es gibt ein enormes Potenzial für Energieeinsparungen bei Gas und Strom. Diese müssen wir identifizieren und nutzen. Um das Heizen in Wohnhäusern effizienter zu gestalten, ist auf Bundesebene beispielsweise eine verpflichtende Heizungsinspektion geplant: Das Einsparpotenzial beläuft sich auf 15 Prozent der Heizkosten! Öffentliche Gebäude sollten das Heizen von Durchgangsbereichen wie Fluren und Foyers herunterschrauben und auch Unternehmen können durch anlassbezogene, freiwillige Einsparungen gegen Entschädigung ihren Beitrag leisten. Strom gerade dann zu verbrauchen, wenn er im Überfluss vorhanden ist, vermeidet Lastspitzen und hilft, das Maximum aus Erneuerbare Energien herauszuholen.

Ausbau der Erneuerbaren – die Zukunft der Energiesicherheit

Es gilt jetzt, möglichst schnell die Versäumnisse beim Ausbau der Erneuerbaren aufzuholen. Statt unnötiger bürokratischer Hürden brauchen wir schnelle Planung und Genehmigung für die Solar- und Windkraft. Das gilt besonders in Ländern wie Bayern, wo am ehesten ein Engpass beim Strom drohen könnte, auch weil die CSU den Ausbau von Windenergie mehr oder weniger torpediert. Auch könnte gerade in Bayern das Aufheben der Obergrenzen für Biogasproduktion schon kurzfristig helfen.

Niedersachsen: Vorbildrolle ernstnehmen!

Niedersachsen muss endlich seine Vorbildrolle ernstnehmen: Solarpflicht auf landeseigenen Dächern, ein windenergie-freundliches Landesraumordnungsprogramm und die tabulose Prüfung und Umsetzung aller Maßnahmen, die uns helfen, fossile Energien zu reduzieren. Alle in Bund, Ländern und Kommunen müssen gemeinsam und entschlossen alle Maßnahmen angehen, um eine Energienotlage im Winter zu meistern, anstatt vorschnell und einseitig mit dem Weiterbetrieb von Atomreaktoren gefährliche Risiken in Kauf zu nehmen. Das Ziel muss sein, die Energieversorgung so schnell wie möglich unabhängig von fossilen Rohstoffen wie Gas und Kohle und ebenso von gefährlicher Atomkraft zu machen.

Schaut rein!
Julia Willie Hamburg im NDR-Sommerinterview

Im NDR-Sommerinterview spricht Julia Willie Hamburg bei einer Partie Krocket über Energiekrise, Inflation,  Schulpolitik, das 9-Euro-Ticket – und ihren zweiten Vornamen.

Außerdem

Schulen mit schlechter Unterrichtsversorgung brauchen mehr Geld für zusätzliches Personal

Julia Willie Hamburg: „Der Fachkräftemangel an Niedersachsens Schulen darf nicht länger Sparschwein des Finanzministers sein“

Die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen nicht und haben in der Vergangenheit nicht gereicht, um den jetzt drohenden Notstand an den Schulen abzuwenden. Deshalb müssen wir jetzt Maßnahmen ergreifen, um dem Fachkräftemangel an Schulen nachhaltig zu begegnen.

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Statement

Grüne: BUND-Studie bestätigt Sicherheitsrisiken der laufenden AKWs

Wir sehen uns als niedersächsische Grüne in unseren Befürchtungen und der Kritik am Sicherheitsrisiko, das vom AKW Emsland ausgeht, bestätigt. Alle Altmeiler haben mit dramatischer Materialermüdung - vor allem mit Korrosion - zu kämpfen. Ein Weiterbetrieb der AKW wäre mit einem deutlich ansteigenden Störfallrisiko verbunden und daher nicht akzeptabel.

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Greenpeace-Analyse bescheinigt TÜV Süd Gefälligkeitsgutachten für Atomkraftwerke

Staudte: TÜV Süd entlarvt sich als gefälliger Lobbyist für Weiterbetrieb von Atomkraftwerken

Der TÜV als privatwirtschaftliche Organisation hat eigene wirtschaftliche Interessen am Weiterbetrieb von Atomkraftwerken. Denn hierbei winken immer wieder attraktive Auftragsarbeiten für den TÜV. Mit dem Ende der Atomkraft bricht ein ganzes Betätigungsfeld für den TÜV weg. Das Gutachten von Greenpeace entlarvt die Befangenheit des TÜV Süd und seine Rolle als gefälliger Lobbyist für die Laufzeitverlängerungen sehr deutlich.

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