Anja Piel: Rede zu den Missbrauchsfällen in Lügde

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

ein Fall wie der in Lügde darf sich nicht wiederholen.
Ich glaube, jeder hier kann dem zustimmen. Nur: Genauso einig war man sich, dass sich Fälle wie die 2010 bei der Odenwaldschule, 2013 in der Hamburger Kita und 2017 in Staufen nicht wiederholen dürfen. Und doch werden immer wieder Kinder Opfer von Gewalttaten. Jede Woche, jeden Tag.

Anrede,

immer wieder wird Kindern unermessliches Leid zugefügt. Hinter gerafften Gardinen genauso wie hinter den Türen eines alten Wohnmobils. In Kindergärten ebenso wie auf Ferienfreizeiten.

Anrede,

ich glaube, am Anfang muss das Eingeständnis stehen, dass wir ein Stück ohnmächtig vor diesen Fällen stehen. Das Eingeständnis, dass wir eben nicht mit Sicherheit verhindern können, dass so etwas geschieht – und auch nicht so tun sollten, als könnten wir das.

Anrede,

aber hätte Lügde nicht verhindert werden können? Immer wieder stellt sich uns die quälende Frage: Warum hat niemand etwas gemerkt? Warum zur Hölle hat trotz zahlreicher Hinweise niemand etwas unternommen, um diesen Kindern zu helfen?

Anrede,

vor vier Monaten sind die Missbrauchsfälle von Lügde bekannt geworden. Und noch immer kommen wöchentlich neue, widerwärtige Details ans Licht. Über die Taten auf dem Campingplatz, aber auch darüber, wie jetzt mit den Opfern umgegangen wird. Jedes einzelne der 41 Kinder von Lügde ist unter den Augen des Jugendamtes zum Opfer geworden. Und das Mindeste, was wir diesen Kindern schulden, ist das Eingeständnis, dass das System versagt hat. Und das aufrichtige Versprechen, hieraus die Konsequenzen zu ziehen und alles zu tun, damit sich ein solcher Fall WIRKLICH nicht wiederholt.

Anrede,

leider hat sich auch diese Landesregierung bislang im Fall Lügde nicht gerade durch entschlossenes Handeln hervorgetan. Sozialministerin Reimann hat lange Zeit nur auf die Zuständigkeit des Landes NRW und des Jugendamtes Hameln-Pyrmont verwiesen. Erst nach massivem öffentlichen und politischen Druck hat die Ministerin ein paar Maßnahmen angekündigt.

Sehr geehrter Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen,

an Ihren Äußerungen der letzten Monate wird deutlich, dass auch Sie eigentlich gar nicht wissen, wie Sie mit dem Fall Lügde umgehen sollen. Während der Kollege Toepffer je nach Wetterlage mal eine Kommission, mal einen Beauftragten, und mal einen Sonderermittler forderte, kam von der SPD nichts. Mit der Entscheidung, die Aufarbeitung auf den Landespräventionsrat zu übertragen, haben Sie einen klassischen Minimalkompromiss geschlossen, der gesichtswahrend für alle Beteiligten ist. Eine unabhängige Aufarbeitung jedoch sieht anders aus! Die Präventionskommission verfügt zwar zweifellos über viel Expertise, hat aber einen ganz anderen Auftrag – nämlich, sexuellen Missbrauch als gesamtgesellschaftliches Problem zu bearbeiten. Es ist ausdrücklich nicht Aufgabe dieser Kommission, einzelne Fälle aufzuarbeiten.

Anrede,

der Fall Lüdge ist nicht das Versagen eines einzelnen Jugendamtes. Der Fall Lügde ist ein Systemversagen im Kinderschutz. Wir fordern deshalb einen Sonderausschuss, der umfassend untersucht, wie über so viele Jahre unentdeckt Täter Kindern Gewalt antun konnten. Und der ableitet, wie wir Kinder künftig wirkungsvoll schützen können und auch, wie wir Opfer besser unterstützen können.

Ein Sonderausschuss ist das geeignete Gremium, um Expertinnen und Experten, aber auch das Parlament in die Aufarbeitung einzubeziehen. So, glaube ich, würden wir das uns mögliche dafür tun, dass sich Lügde nicht wiederholt.

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