Antrag: Die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 anpassen - Parlament beteiligen

Zu Gesetzentwurf Bündnis 90/Die Grünen „Gesetz zur Beteiligung des Landtages bei Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz des Bundes „- Drs. 18/6297

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Am 15. April 2020 einigten sich die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsident*innen auf die Weiterentwicklung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und beschlossen in diesem Zusammenhang Lockerungen im Bereich des Handels und der Schulen. Mit der "Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus" setzte die Landesregierung diese Vereinbarung um. Diese Verordnung trat am Montag, den 20.04.2020 in Kraft. Bereits vor Inkrafttreten gab es Kritik von den kommunalen Spitzenverbänden, Trägern und anderen Verbänden.

Der Landtag stellt fest:

  • Der Schutz der Gesundheit muss weiter handlungsleitend für Maßnahmen in Niedersachsen sein.
  • Die vorher benannten Voraussetzungen für Lockerungen: eine anhaltend hinreichende Absenkung der Reproduktionszahl, die Einführung einer freiwilligen, dezentralen, datenschutzkonformen App die deutliche Steigerung der Testkapazitäten und ausreichend Schutzkleidung wurden noch nicht erreicht, bzw. geschaffen.
  • Das Ergebnis der Einigung zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsident*innen lässt nachvollziehbare klare Kriterien und Transparenz vermissen. Gleichzeitig ist es fraglich, inwiefern bei der gleichzeitigen Durchführung von zwei Lockerungsmaßnahmen eine Nachvollziehbarkeit der Auswirkungen möglich ist. Insbesondere die sozialen Härten etwa von Familien wurden zu wenig in den Blick genommen.
  • Die Fristen für die Erstellung der Verordnung haben nicht ausgereicht, um notwendige demokratische Beteiligungsverfahren und ausreichend Zeit für die Umsetzung in den Kommunen vorzusehen. Hier gilt Sorgfalt vor Eile walten zu lassen.
  • Die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 20. April 2020 ist erneut widersprüchlich, fehlerhaft und unpräzise formuliert und wird deshalb von verschiedenen Seiten kritisiert. Hiermit werden regionale Unterschiede bei der Umsetzung provoziert und die Konflikte auf die kommunale Ebene verlagert.
  • Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus müssen auf der Grundlage von transparenten Kriterien präzise, zielgerichtet, verhältnismäßig und zweckmäßig sein. Die Verordnung ist hierauf regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. Die Kriterien sollen mit den anderen Bundesländern und dem Bund abgestimmt werden. Nur so kann eine verlässliche Kommunikation und eine gute Akzeptanz der Maßnahmen erreicht werden.
  • Insbesondere aufgrund der Schwere der Eingriffe durch die derzeitigen Infektionsschutzmaßnahmen ist eine breite gesellschaftliche und politische Debatte zu führen. Der Landtag ist entsprechend bei der Planung von Maßnahmen und vor Veröffentlichung der Verordnungen zu beteiligen.
  • Es muss Transparenz hergestellt werden, was die Entwicklung anderer Problembereiche angeht wie Anstieg von Herzinfarkt-Toten, Suiziden, Opfern häuslicher Gewalt etc., um die Zweckmäßigkeit von Maßnahmen abzuwägen.
  • Andere Bundesländer haben insbesondere im Bereich der Wahrung der Versammlungs- und Religionsfreiheit weitreichende und funktionierende Lösungen gefunden, auch unter Beachtung des Infektionsschutzes hier die Rechte zu wahren.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  • Die oben genannten Voraussetzungen für eine weitere Öffnung des gesellschaftlichen Lebens zu schaffen und hieran mit Hochdruck zu arbeiten.
  • Bei künftigen Verhandlungen mit der Bundeskanzlerin und den anderen Ministerpräsident*innen darauf zu achten, dass vor Beschlussfassung eindeutige Kriterien definiert werden und eine Überprüfbarkeit der Maßnahmen möglich ist.
  • Insbesondere die sozialen Folgen bei der Debatte mit Bund und anderen Ländern über weitere Lockerungsmaßnahmen in den Blick zu nehmen, um soziale Härten für Familien oder auch Menschen, die auf Beratungsgespräche und andere soziale Infrastruktur angewiesen sind, abzumildern.
  • Bei der Erstellung künftiger Verordnungen die Fristen so zu planen, dass ausreichend Zeit für eine Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände und betreffender Verbände vorzusehen und auch Zeit für die Umsetzung durch die Kommunen und betreffenden Unternehmen oder Einrichtungen vorzusehen.
  • Den Landtag bei der Festsetzung von Kriterien für Maßnahmen und bei der Erstellung von Verordnungen zum Infektionsschutzgesetz künftig vor Veröffentlichung zu beteiligen und bei eilbedürftigen Entscheidungen die Zustimmung des Landtags unverzüglich nachzuholen.
  • Die Ungenauigkeiten und Widersprüche bei der derzeitigen „Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus“ umgehend zu beheben und die Verordnung auf solche Aspekte regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. Das gilt insbesondere für
    • o die Notbetreuung: Die Handlungsanweisungen sind entsprechend zu präzisieren und rechtlich eindeutige Begriffe zu verwenden, sodass die Kommunen bei der Umsetzung Rechtssicherheit haben. Die Definition der Berufe, die Teil der kritischen Infrastruktur sind, ist unter Berücksichtigung der sozialen Berufe zu präzisieren. Auch Beschäftigte der Medien sind hier entsprechend einzustufen. Gleichzeitig soll bei der Berücksichtigung der Notbetreuung auch das Kriterium der ‚sozialen Härte‘ berücksichtigt werden. So sollen insbesondere bspw. Alleinerziehende oder Familien mit Kindern, die eine Behinderung haben – unabhängig von deren Alter - berücksichtigt werden.
    • o Handreichungen und Anweisungen zur zielgenauen und einfachen Umsetzung in den Kommunen: Insbesondere bei der Erstellung von Hygienekonzepten für Unternehmen oder Schulen braucht die kommunale Ebene bei so kurzen Umsetzungsfristen eine Unterstützung, um im Sinne der Landesverordnung die Maßnahmen umzusetzen und regionale Unterschiede und damit Debatten über Widersprüche in den jeweiligen Gemeinden zu vermeiden.
    • o Autowaschanlagen: Bei der derzeitigen Regelung sind die Kriterien für die Öffnung und Nicht-Öffnung nicht konsistent. In solchen Fällen gilt es die Verordnung mit den Kriterien zu verdeutlichen oder Widersprüche aufzulösen, um die Akzeptanz für solche Maßnahmen nicht zu gefährden.
  • Die Verordnung zielgerichtet und zweckmäßig zu formulieren und hier regelmäßig zu überprüfen, inwiefern insbesondere die Einschränkung von Grundrechten durch zielgenauere Formulierungen unter Wahrung des Infektionsschutzes dennoch zu gewähren sind. Hier sollen andere Bundesländer als Vorbild genommen werden. Das gilt insbesondere für:
    • Versammlungen: Können ist für ein Grundrecht ein sehr weicher Begriff. Hier muss im Mindesten für einen effektiven Grundrechtsschutz das Wort „sollen“ verwendet werden
    • Religionsfreiheit: Andere Bundesländer ermöglichen den Besuch von Gottesdiensten bereits im Freien oder unter Wahrung bestimmter Auflagen. Bei Beerdigungen sollte die Teilnahme unter freiem Himmel nicht zahlenmäßig begrenzt werden, vielmehr müssen Abstandsregeln vorgeschrieben bzw. eingehalten werden.
    • Nutzung von derzeit gesperrten Freiflächen, um den Aufenthalt im Freien für Spaziergänge, Sport und andere Angebote zu entzerren. Hier sollen auch Sportplätze, Tiergärten und weitere Flächen mitgedacht werden.
    • Die Nutzung von Außenflächen sowie nicht genutzten Räumlichkeiten, wie Museen oder Gemeindehäuser, für kleine Notbetreuungsgruppen, um mehr Betreuung ermöglichen zu können.
    • Die Prüfung, inwiefern Familien entlastet werden können, indem Betreuungsgemeinschaften von zwei bis drei festen Familien gebildet werden können, um sich die Kinderbetreuung aufzuteilen und dem Infektionsschutz dennoch Rechnung tragen zu können.
  •  Die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus so zu formulieren, dass sie alle Mitmenschen in Niedersachsen mitdenkt. § 2a (1) Satz 2 der Verordnung gestattet das Besuchsrecht im Krankenhaus explizit nur für „Väter“ und ignoriert dabei rein weibliche Partnerschaften oder Menschen, die sich einem anderen oder keinem Geschlecht zuordnen. Darüber hinaus sollten statt Partner*in ersatzweise auch eine begleitende Vertrauensperson benannt werden dürfen.

Begründung

Bereits bei der vorangegangenen Verordnung wurde durch einen Fehler bei der Abstimmung mit einer neuen Formulierung das Besuchsrecht drastisch eingeschränkt. Die neue „Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus“ weist nun abermals Ungenauigkeiten und Widersprüche auf. Vor dem Hintergrund, dass die Eingriffe durch die Infektionsschutzmaßnahmen schwer wiegen, ist eine Beteiligung des Parlamentes geboten. Auch muss die Verordnung umgehend angepasst und regelmäßig überprüft werden, um sie zielgerichtet und zweckmäßig zu gestalten.

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