Antrag: Betrug und Abzocke mit fehlerhaften Medizinprodukten unterbinden - Sicherheit, Wirksamkeit und gesundheitlichen Nutzen besser gewährleisten

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Der Landtag stellt fest:

Am 1. April 2010 informierte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Deutschland erstmals über fehlerhafte Silikonimplantate eines französischen Herstellers. Diese, bzw. gleichartige Implantate anderer Hersteller wurden auch in Deutschland in etwa 7.500 Fällen verwendet. In Niedersachsen haben mindestens 303 Frauen minderwertige Implantate erhalten. Den betroffenen Patientinnen sind erhebliche gesundheitliche Risiken entstanden. Mittlerweile empfiehlt das BfArM die präventive Entfernung der betreffenden Implantate.

Obwohl die Vorkommnisse zunächst auf kriminelle Energie des Herstellers der Silikonimplantate zurückzuführen sind, haben sie gleichwohl Defizite bei der Überwachung der Qualität von Medizinprodukten und deren Koordination offenbar werden lassen. Darüber hinaus gibt es auch ganz grundsätzliche Kritik an den bestehenden nationalen und europarechtlichen Vorschriften zu Medizinprodukten. Medizinprodukte, insbesondere diejenigen, die Patientinnen und Patienten implantiert werden und dabei mit dem Gefäß- oder dem Zentralen Nervensystem in Kontakt kommen, entfalten ein Arzneimitteln durchaus ähnliches gesundheitliches Risikopotenzial. Während jedoch an Arzneimittel inzwischen erhebliche Anforderungen gestellt werden, fehlt bei Medizinprodukten ein vergleichbares Zulassungs-, Nutzenbewertungs- und Dauerüberwachungssystem.

Die Mängel des bestehenden Zulassungs- und Überwachungsverfahrens werden beispielsweise anhand der wachsenden Zahl von Risikomeldungen bei Implantaten deutlich. Diese haben sich von 2000 zu 2010 nahezu verdreifacht. Besonders häufig in der Kritik stehen Endoprothesen. 3,45 Prozent aller Hüftendoprothesen mussten einer Auswertung von GKV-Routinedaten zufolge innerhalb von zwei Jahren nach der Implantation ausgetauscht werden. Ursächlich waren in fast 70 Prozent der Fälle mechanische Komplikationen. Bei der Überwachung der Medizinprodukte und der Feststellung und Bekanntgabe von Mängeln sind insbesondere die Länder mit der von ihnen getragenen Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) gefordert.

Die vorhandene CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten hat lediglich den Ausschluss von Infektionsrisiken, die Gewährleistung der physikalischen Sicherheit sowie die Einhaltung der zugesagten Produkteigenschaften zum Ziel. Die therapeutische Wirksamkeit oder gar der gesundheitliche Nutzen werden damit keineswegs bestätigt. Neuere Studien zu verschiedenen therapeutischen Methoden unter Zuhilfenahme implantierbarer Medizinprodukte lassen erhebliche Zweifel am Nutzen und an der Wirksamkeit bestimmter, mit einer CE-Kennzeichnung versehener Produkte, aufkommen. Dies betrifft beispielsweise Stents, die in bestimmten Fällen zur Schlaganfallprophylaxe eingesetzt werden, das Risiko eines solchen Schlaganfalls stattdessen jedoch erheblich erhöhen können. Von einer Therapie zur Schmerzbehandlung bei Erkrankungen des Wirbels mittels eingespritzten Knochenzements wird berichtet, dass diese nicht wirksamer sei als eine Scheinbehandlung mittels Placebo.

Damit im Zusammenhang stehen die mangelnden Anforderungen an die bei der CE-Kennzeichnung vorzulegenden klinischen Überprüfungen der Medizinprodukte. Bei der Markteinführung liegen nur wenige Daten zu einem möglichen Gefahrenpotenzial dieser Produkte vor. Diese vorhandenen Untersuchungen schließen häufig nur wenige Patienten ein und berücksichtigen nur sehr kurze Beobachtungszeiträume. Mit dem Arzneimittelrecht vergleichbare Standards für die klinischen Prüfungen der Medizinprodukte fehlen. Stichproben zur Überprüfung und Güte der Produkte finden angesichts der Vielfalt der Medizinprodukte und vorhandener Personalknappheit nur unzureichend statt.

I. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. in Absprache mit den anderen Bundesländern die Überwachung der zahlreichen Medizinprodukte durch die Zentralstelle der Länder zu intensivieren und die Gefahren, die bei der Anwendung dieser Produkte für den Menschen entstehen, regelmäßig zu evaluieren und sowohl den Patientinnen und Patienten wie auch der breiten Öffentlichkeit durch hinreichende Informationen bekannt zu geben,
  2. in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer Niedersachsen und der Landesvereinigung Gesundheit für eine regelmäßige Fortbildung wie auch Erfahrungsaustausch der beteiligten Ärztinnen und Ärzte sowie der Patientinnen und Patienten über die Anwendungsfolgen ausgewählter Medizinprodukte zu sorgen.

II. Der Landtag fordert deshalb die Landesregierung auf,

  1. im Zuge der Beratungen zur Überarbeitung der geltenden EU - Medizinprodukterichtlinien folgende Ziele einzubringen:
  • das bestehende durch so genannte Benannte Stellen durchgeführte Zertifizierungsverfahren für implantierbare Medizinprodukte durch ein mit den Anforderungen der Arzneimittelzulassung vergleichbares staatliches Verfahren zur Marktzulassung und Marktüberwachung zu ersetzen,
  • die in der Richtlinie 93/42/EWG definierten Anforderungen an die Klinische Überprüfung von Medizinprodukten so zu ergänzen, dass ein mit Arzneimittelstudien vergleichbares verbindliches Studiendesign, insbesondere für implantierbare Medizinprodukte entsteht und dies auch für sogenannte Weiterentwicklungen gilt,
  • alle Studien zu implantierbaren Medizinprodukten in einem Studienregister zu erfassen und öffentlich zugänglich zu machen.
  1. Gesetzentwürfe zur Änderung des Sozialgesetzbuches V (SGB V) im Bundesrat vorzulegen, durch die
  • eine frühe Nutzenbewertung von so genannten Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und den in diesem Rahmen verwendeten implantierbaren Medizinprodukten eingeführt wird,
  • die Voraussetzungen geschaffen werden, um Angaben zu implantierten Medizinprodukten auf der elektronischen Gesundheitskarte der Patientinnen und Patienten speichern zu können,
  • ein verbindliches Register, insbesondere zur Langzeitüberwachung von implantierbaren Medizinprodukten, geschaffen wird und gemeinsam mitden Ländern auf eine bessere Umsetzung der geltenden Meldepflichten bei Vorkommnissen im Zusammenhang mit Medizinprodukten hingewirkt wird,
  1. in den im geplanten Patientenrechtegesetz vorgesehenen Vorschriften zum Behandlungsvertrag auch eine gesetzliche Klarstellung herbeizuführen, dass Patientinnen und Patienten verpflichtend der Implantatausweis auszuhändigen ist, sie Zugang zu weiteren für Patienten relevanten von den Herstellern bereitgestellten Informationen nach Anhang 1 Nr. 13 der Richtlinie 93/42/EWG erhalten und gemeinsam mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass die gesetzliche Pflicht zur Aufklärung durch Ärztinnen und Ärzte im Rahmen des Behandlungsvertrages umfassend erfolgt und insbesondere auch mögliche gesundheitliche Risiken im Zusammenhang mit verwendeten Medizinprodukten umfasst,
  2. einen Gesetzentwurf zur Änderung des Medizinproduktegesetzes vorzulegen, durch welchen den Herstellern von implantierbaren Produkten der Nachweis einer Produkthaftpflichtversicherung oder einer damit vergleichbaren Deckungsvorsorge auferlegt wird.

Begründung

Implantierbare, für eine ununterbrochene Anwendung bestimmte Medizinprodukte beinhalten erhebliche gesundheitliche Risiken für die damit behandelten Patientinnen und Patienten. Dies trifft im Wesentlichen auf Medizinprodukte der Klasse III zu, in Einzelfällen können auch Produkte der Klasse IIb betroffen sein.

Obwohl das Risikopotenzial dieser Produkte Arzneimitteln durchaus ähnlich ist, gelten bislang andere Anforderungen für deren Marktzugang. So ist für das Inverkehrbringen eines Medizinproduktes der Risikoklasse III derzeit keine Zulassung durch eine hierfür bestimmte staatliche Einrichtung nötig sondern lediglich ein CE-Kennzeichnung (Zertifizierung) im Rahmen eines Konformitätsbewertungsverfahrens. Dass die für die Zertifizierung nötigen Anforderungen erfüllt werden, wird bislang durch eine von der Zentralstelle der Länder so genannte Benannte Stelle (z. B: der TÜV) bescheinigt. Dabei wird insbesondere geprüft, ob Infektionsrisiken ausgeschlossen sind, die physikalische Sicherheit gewährleistet ist und ob die zugesagten Produkteigenschaften erreicht werden. Die Marktüberwachung der Produkte obliegt einerseits den Landesbehörden, andererseits den Benannten Stellen im Rahmen regelmäßiger so genannter Überwachungsaudits.

Für das Inverkehrbringen von implantierbaren Medizinprodukten soll künftig eine Produktzulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) oder die European medicine agency (EMEA) Voraussetzung sein. Die Anforderungen an die Zulassung dieser Produkte sollten sich an den in Betracht kommenden Bestimmungen für Arzneimitteln orientieren. Dabei ist gegen die bestehende Standardtherapie zu prüfen, da nur so eine Verbesserung (oder Verschlechterung) der Versorgung von Patientinnen und Patienten ermittelt werden kann. Gleiches gilt auch für die Überwachung der Produkte nach dem Inverkehrbringen. Hier können die im Arzneimittelbereich inzwischen vorhandenen Standards herangezogen werden. Dies schließt auch die systematische Sammlung und Auswertung von Vorkommnissen ein.

Zwar müssen die Klinischen Prüfungen von Medizinprodukten seit 2010 vorab durch BfArM bzw. das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) genehmigt werden – dabei wird auch geprüft, ob der Prüfplan der Studien geeignet ist, die geforderten Nachweise zu erbringen – doch sollen diese Studien lediglich belegen, ob die vom Hersteller angegeben Produktleistungen erreicht werden und ob etwaige Risiken in einem angemessenen Verhältnis zu den Leistungen des Produkts stehen. Randomisierte und - soweit im Einzelfall möglich und ethisch vertretbar – verblindete klinische Studien sind nicht vorgeschrieben.

Bislang können im Zusammenhang mit neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus verwendete Medizinprodukte auch dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen angewandt werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschusses hierzu noch keine, auf einer Nutzenbewertung fußende Empfehlung, abgegeben hat (Verbotsvorbehalt nach § 137 c SGB V). Dies unterscheidet die Krankenhausbehandlungen von der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung, wo ausdrücklich nur in Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses empfohlene Methoden zu Lasten der Krankenkassen angewendet werden dürfen (Erlaubnisvorbehalt nach § 135 SGB V).

Erforderlich ist eine Regelung zur frühen Nutzenbewertung für so genannte Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) und die in diesem Rahmen verwendeten implantierbaren Medizinprodukte. Dabei sollen der medizinische Nutzen, der Zusatznutzen im Vergleich zu bereits vorhandenen (auch medikamentösen) Therapien sowie Anforderungen an die qualitätsgesicherte Anwendung dargelegt werden. Damit neue Behandlungsverfahren den Versicherten der GKV auch künftig schnellstmöglich zur Verfügung stehen, wird ein dreistufiges Verfahren für diese Methodenfrühbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorgeschlagen: Kommt die frühe Nutzenbewertung zu dem Ergebnis, dass der Nutzen der Methode und damit auch des Medizinproduktes hinreichend belegt ist, kann sie flächendeckend zu Lasten der Krankenkassen zur Anwendung kommen. Kann kein Nutzen festgestellt werden oder ist das Schadpotenzial der Methode erheblich, erhält sie keine Zulassung. Liegen zu einer möglicherweise innovativen Methode noch keine aussagefähigen Daten vor, kann diese im Rahmen einer von den Krankenkassen vergüteten Studie in Innovationszentren erprobt werden. Innovationszentren können alle Krankenhäuser sein, die hierzu einen Vertrag mit den Krankenkassen geschlossen haben und in der Lage sind, qualitativ hochwertige klinische Studien durchzuführen.

§ 291a Abs. 3 Nr. 3 SGB V soll so ergänzt werden, dass künftig auch notwendige Daten zur Therapiesicherheit bei implantierten Medizinprodukten wie insbesondere Seriennummer und voraussichtliche Lebensdauer des Produktes auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können.

Um die Rahmenbedingungen für die Langzeitüberwachung von Medizinprodukten zu verbessern und gegenüber Operateuren sowie Patientinnen und Patienten eine höhere Qualitätstransparenz herzustellen, wird vorgeschlagen, in Anlehnung an das im Aufbau befindliche freiwillige Endoprothesenregister für alle implantierbaren Medizinprodukte ein verbindliches Register zu schaffen, das mindestens die Seriennummer, Informationen zu Diagnosen, zu mit der Implantation verbundenen Prozeduren, zu Vorkommnissen unter Einschluss von Wechseloperationen , Komplikationen wie insbesondere Implantatrupturen, Kapselkontrakturen, Asymmetrien, Vernarbungen, Schmerzen und Infektionen sowie pseudonymisierte Patientendaten enthalten muss. Die Registerdaten müssen im Rahmen des gesetzlichen Beobachtungs- und Meldesystems regelmäßig ausgewertet und in die Bewertung kurz- und langfristiger Risiken einfließen In die Auswertungen der Registerdaten sollen in geeigneter Form auch Patientinnen und Patienten Einsicht nehmen können. Die Registerdaten müssen zudem bei der derzeit bestehenden Re-Zertifizierung von Medizinprodukten berücksichtigt werden

Der zunächst unvollständige Überblick des BfArM über Vorkommnisse im Zusammenhang mit den fehlerhaften Brustimplantaten deutet darauf hin, dass die bestehende gesetzliche Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung von Vorkommnissen durch Ärztinnen und Ärzten sowie durch deren Fachgesellschaften nur unzureichend umgesetzt wird. Bundesregierung und Länder sind hier in der Pflicht, auf eine bessere Umsetzung dieser Vorschriften hinzuwirken. Zugleich muss ggf. im Wege einer Änderung der Medizinproduktesicherheitsplanverordnung (MPSV) explizit klargestellt werden, dass auch Wechseloperationen etwa bei Endoprothesen und Stents als Vorkommnis beim BfArM anzuzeigen sind.

Es gibt Hinweise darauf, dass die gesetzliche Pflicht, Patientinnen und Patienten umfassend und vollständig über alle bekannten gesundheitlichen Risiken aufzuklären, nur unzureichend befolgt wird. Dies betrifft insbesondere auch Informationen zu Risiken im Zusammenhang mit der Verwendung von Medizinprodukten sowie ggf. zur Lebensdauer dieser Produkte. Hier sind insbesondere Bund und Länder sowie die Ärztekammern in der Pflicht, auf die Umsetzung dieser Regelung hinzuwirken.

Zugleich soll es in den im Patientenrechtegesetz vorgesehenen Vorschriften zu den Pflichten des Behandlers und der Behandlerin im Rahmen des Behandlungsvertrages klargestellt werden, dass die in Anhang 1 Nr. 13 der Richtlinie 93/42/EWG aufgezählten patientenrelevanten Informationen (insbesondere Seriennummer, Herstellerangaben, Risiken  und Lebensdauer des Implantats) auch den Patientinnen und Patienten zugänglich gemacht werden. Diese Informationspflicht soll künftig ausdrücklich auch die Aushändigung des Implantatausweises nach dem Eingriff umfassen.

Für implantierbare Medizinprodukte soll eine Analogregelung zu § 94 des Arzneimittelgesetzes (AMG) geschaffen werden. Auf diese Weise wird der Hersteller dieser Produkte verpflichtet, finanzielle Vorsorge in geeigneter Höhe zu treffen, damit er seinen gesetzlichen Verpflichtungen zum Ersatz von Schäden nachkommen kann. Die Deckungsvorsorge kann wie in § 94 Abs. 1 AMG im Wege einer Haftpflichtversicherung oder eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung eines Kreditinstituts erfolgen.

Stefan Wenzel

Fraktionsvorsitzender

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