Rede Regina Asendorf: Antrag (SPD/GRÜNE) - Für eine starke Europäische Säule sozialer Rechte

- Es gilt das gesprochene Wort - 

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

dass wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zu unserem Glück vereint sind, empfinden durchaus nicht alle Bürger in Europa so. Während der gemeinsame Binnenmarkt stetig voran gebracht wurde, sind die sozialen Fragen in den Hintergrund getreten. Die Basis der Europäischen Union stellte am Anfang die Wirtschaftsgemeinschaft dar. Nach dem zweiten Weltkrieg war bereits das ein unglaublicher Erfolg.

Robert Schumann, der Vater Europas, sprach vor 60 Jahren von einem demokratischen Modell der Herrschaftsausübung, das durch Versöhnung eine Gemeinschaft der Völker in Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden entstehen lässt.

1973 wurde in dem Dokument über die europäische Identität festgehalten, dass eine Gesellschaftsordnung angestrebt wird, die dem Menschen dient. Als Grundelemente der europäischen Identität wurden die repräsentative Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die soziale Gerechtigkeit als das Ziel des wirtschaftlichen Fortschritts, sowie der Achtung der Menschenrechte festgehalten.

Der wichtige Punkt der sozialen Gerechtigkeit wurde viel zu lange vernachlässigt.

Dem Vertrag von Maastricht von 1992 wurde ein sog. Sozialprotokoll und Sozialabkommen angehängt. Übrigens ohne Großbritannien, das sich auch in der Folge weiterhin gegen eine Einbindung der Sozialpolitik gestellt hat.

Im Sozialprotokoll sind u.a. Hinweise zur Setzung arbeitsrechtlichen Mindestnormen und Weiterentwicklung des sog. „Sozialen Dialogs“ enthalten.  

Erst mit dem Vertrag von Amsterdam gaben die Briten ihren Widerstand auf und das Sozialprotokoll wurde 1999 in den Vertrag übernommen.

Leider ist daraus nur wenig politische Aktivität entstanden.

Der Vertrag von Lissabon 2009 stärkt die soziale Dimension Europas. Zugleich wird eine Übertragung neuer Kompetenzen an die Europäische Union im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik vermieden. Aktivitäten im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik können weiterhin nur im Rahmen ihrer begrenzten (vorwiegend unterstützenden und ergänzenden) Kompetenzen stattfinden.

2010 wurde die Strategie Europa 2020 mit der Priorität eines Integrativen Wachstums beschlossen. Um eine gerechtere Wirtschafts- und Währungsunion zu erreichen, hat die Kommission im März 2016 einen vorläufigen Entwurf für eine europäische Säule sozialer Rechte vorgelegt. Sie besteht aus drei Strängen: 1) Chancengleichheit und gleichberechtigter Zugang zum Arbeitsmarkt, 2) gerechte Arbeitsbedingungen und 3) Zugang zu angemessener und nachhaltiger sozialer Absicherung.

In seiner Entschließung vom 25. Februar 2016 zu dem Thema „Europäisches Semester für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik“ hat das Parlament die Kommission und die Mitgliedstaaten aufgefordert, tätig zu werden, um die aufwärts gerichtete soziale Konvergenz in der Union zu fördern. Die Schaffung einer europäischen Säule sozialer Rechte ist ein Schritt in diese Richtung.

An diesem Punkt stehen wir nun. Die soziale Spaltung Europas ist in 60 Jahren nicht überwunden worden und wird zunehmend zur Überlebensfrage Europas. Ich habe diesen kleinen Exkurs in die Geschichte gemacht, um zu zeigen, dass bislang viele Absichtserklärungen gegeben, aber wenig konkrete Politik gemacht wurde – auf nationaler wie auf europäischer Ebene.

Die Bürger nehmen war, dass den Banken geholfen wurde, aber z.B. gegen die Jugendarbeitslosigkeit nicht genügend getan wurde. Nicht nur die Gehälter sind unterschiedlich: Sie reichen von einem Jahreseinkommen in Dänemark von ca. 28.000 € bis 2.300 € in Rumänien. Die Lebensbedingungen klaffen ebenfalls sehr weit auseinander.

Vor 60 Jahren wurde den Bürgern Europas ein Versprechen gegeben. Es wird höchste Zeit, dass das Versprechen eingelöst wird, denn ansonsten werden sie sich noch weiter von Europa entfernen. Ohne einen sozialen Zusammenhalt in Europa hat Europa keine Zukunft.

"Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für uns alle."

Konrad Adenauer, Deutscher Bundestag, 1954

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