Rede Belit Onay: Aktuelle Stunde (GRÜNE) zum Türkei-Referendum und Einwanderungsland Deutschland

- Es gilt das gesprochene Wort -

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Das Verfassungsreferendum in der Türkei läuft auf Hochtouren. Nicht bloß in der Türkei, sondern auch in Europa hat dieser Spuren hinterlassen.

Seit dem 27.03. bis zum 09.04.2017 können auch im Ausland lebende türkische Staatsbürger ihre Stimme abgeben. So auch in Hannover.

Schaut man sich einmal die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen an, so liest sich das Ganze wie eine Betriebsanweisung für eine konstitutionelle Autokratie: die staatliche Gewalt wird in den Händen des Staatspräsidenten gebündelt, ohne die entsprechende Gewaltenteilung, ohne entsprechende politische Kontrolle.

Doch bei den Diskussionen in der Türkei spielen die Fakten nahezu keine Rolle, sondern es geht lediglich um Emotionen. Wie bei vielen anderen politischen Auseinandersetzungen unserer Zeit.

Dies mobilisiert in den eigenen Reihen, aber auch unter Türken in Deutschland.

Ich werde häufig gefragt, warum so viele hier geborene und aufgewachsene Türkeistämmige Erdoğan unterstützen.

Am vergangenen Mittwoch gab es eine Einladung für türkeistämmige Mandatsträgerinnen des Bundesinnenministers de Maiziere, des Bundesaußenministers Gabriel und der Staatsministerin Özoğuz ins Auswärtige Amt, um genau diese Frage zu erörtern.

Die Teilnehmenden berichtet nahezu allesamt, dass es bei vielen jungen Menschen türkischer Herkunft einen emotionalen Frust gibt, der sich über Jahre aufgebaut und vielerlei Gründe hat.

Alltägliche Erfahrungen von Diskriminierungen bei der Job-Suche oder der Wohnungssuche.

Wenn man z.B. mit türkischem Namen auf dieselbe Stelle auch dann noch viel mehr Bewerbungen schreiben muss, wenn man in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und dieselbe Qualifikation verfügt, wie die deutsche Freunde.

Oder wenn man als Kind die Eltern zum übersetzen zur Ausländerbehörde begleitet und die Ausgrenzung miterlebt hat, wenn es um die Verlängerung des Aufenthalts ging.

Oder wenn Verwandte zur Hochzeit oder Beerdigung einreisen sollten und kein Visum erhalten haben.

Aber auch die ständigen politischen Debatten, als man die Realitäten in Deutschland nicht wahrhaben und noch kein Einwanderungsland sein wollte.

Man noch Rückkehrprogramme auflegte, Anwerbestopps proklamierte und Rückkehrförderungsgesetze erließ.

Als man Migrationspolitik nicht für die Einwanderer, sondern vor allem für deutsche Wählerinnen und Wähler machte.

Als nicht Realitäten ausschlaggebend waren, sondern vor allem die Vorstellungen, die man über Migranten hatte.

Bis heute hat dieser Frust manche sogar zu regelrechten türkischen Wutbürgern in Deutschland werden lassen.

Und nun kommt Erdoğan und holt die Menschen genau dort ab.

Er gibt diesem Frust durch seine aggressive und polternde Art ein Gesicht.

Und weil in Deutschland gefühlt alle gegen sind, ist Erdoğan die Provokation in Person!

Doch auch in diese türkische Richtung möchte ich eines ganz deutlich sagen:

Dies ist ein absoluter Holzweg.

Kein Politiker aus dem Ausland wird unsere Herausforderungen und Probleme in Deutschland für uns lösen.

Das können nur wir. Nur Gemeinsam. Nur in Deutschland. Hier liegt unsere Zukunft.

Dies kann aber nur über echte Teilhabe gelingen, durch echte Verantwortung.

Da mutet es schon grotesk an, dass Menschen, die seit 40-50 Jahren hier leben kein kommunales Wahlrecht haben und nicht über ihre direkte Nachbarschaft mit bestimmen dürfen, aber dank Erdoğan für ein Referendum in der Türkei.

Für viele ist dies das erste Mal in ihrem Leben!

Doch diese Wahlkampf-Besuche und die unsäglichen Nazi-Vergleiche haben uns in Deutschland massiv geschadet. Es ist, als ob wir wieder 20 Jahre zurück geworfen sind in der Debatte.

Und nun streiten müssen über Loyalitäten oder den Doppelpass!

Sogar solch verfassungswidrige Vorschläge wie ein „Islam-Gesetz“ sind jetzt auf der Tagesordnung.

Migrationspolitik darf nicht als Gefahrenabwehr betrieben, sondern muss als Zukunftsprojekt gestaltet werden.

Es darf nicht darum gehen, Menschen rechtlich und real fernzuhalten von Verantwortung und Teilhabe.

Und wir können und müssen auch Lehren für den Umgang mit Menschen ziehen, die neu zu uns gekommen sind.

Wenn es um Fragen des Familiennachzuges geht oder um befristete Aufenthaltserlaubnisse.

Genau dasselbe gilt für ein modernes Einwanderungsgesetz, wie es die grüne Bundestagsfraktion gerade vorgestellt hat.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

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