Rede Anja Piel: Regierungserklärung (Landesregierung) zur Zwischenbilanz nach 100 Tagen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

vielen Dank, Herr Ministerpräsident, für Ihre Zwischenbilanz. Ich bin ganz erstaunt, dass ich schon dran bin. Ich habe eigentlich fest damit gerechnet, dass Herr Althusmann auch noch was sagen würde.

Nun gut.

Anrede,

Niedersachsen hat zum ersten Mal in der Geschichte zwei Regierungen.

Zwei Männer führen unser Land.

Auf der einen Seite der Ministerpräsident der ruhigen Hand.

Nicht außergewöhnlich auffällig, aber mit einer Mehrheit im Rücken, von der die SPD in Berlin nur träumen kann.

Ein Ministerpräsident, der seine Ministerinnen und Minister machen lässt, solange sie ihm nicht die Quere kommen.

Er klärt die Dinge in kleiner Runde und setzt dem Parlament und der erstaunten Öffentlichkeit dann die fertige Lösung für die Probleme der Welt vor.

Beim Feiertag haben wir es erleben dürfen.

Es kann doch wohl nicht sein, dass sich vier Regierungschefs zusammensetzen wie die Fürsten der norddeutschen Kleinstaaten, und das Parlament das Ergebnis nur abnicken darf. Das ist doch keine Wertschätzung für’s Parlament!

Auf der anderen Seite die CDU und ein vor sich hin brodelnder Minister Althusmann.

Offensichtlich halten Sie wenig von dem, was die jeweils andere Seite tut.

Mein Eindruck ist, dass SPD und CDU jeweils ihr Ding machen, und unabhängig voneinander auf getrennte Ergebnisse hinarbeiten: nämlich das Land ein Stück sozialdemokratischer respektive christdemokratischer zu machen.

Anrede,

drei Beispiele:

Begonnen hat das Hin und Her beim VW Aufsichtsrat. Mit der festen Absicht, selbst Ministerpräsident zu werden, haben Sie, Herr Dr. Althusmann, verkündet: Der zweite Platz geht an einen „Experten“.

Eine gute Idee, die hatten wir auch. Im VW-Aufsichtsrat geht es nicht um Parteipolitik. Dort achtet die Politik darauf, dass VW nicht nur seinem wirtschaftlichen Auftrag gerecht wird. Sondern auch seiner Verantwortung für das Land, für die Menschen.

Die gute Idee war aber am Ende nicht gut genug. Herr Althusmann hat die geforderte Expertise schnell durch sich selbst ersetzt. Er hat eine eindeutige Ankündigung im Wahlkampf gebrochen, nicht die einzige übrigens. Bravo, Herr Althusmann!

Herr Althusmann, Ihre Glaubwürdigkeit soll nicht mein Problem sein.

Schlimm ist, was das Manöver über die Motive in dieser Regierung sagt: Es geht um das Machtverhältnis zwischen Weil und Althusmann.

Althusmann hat sich gedacht

„Wenn der darf, dann will ich auch!“ –

und zugegriffen.

Herr Althusmann,

vielleicht hätten Sie sich lieber mal um die Luft in den Städten kümmern sollen. Dann würden wir jetzt nicht so gespannt auf das Urteil den Fahrverboten warten müssen. Aber: Jeder hat seine Prioritäten.

Anrede,

und Priorität ist bei dieser Koalition, dass man alles das, was der andere macht, eben auch macht. Aus Prinzip.

Im Wirtschaftsministerium gibt es jetzt inzwischen eine Art zweite Staatskanzlei.

Was ist denn schon dabei? Ein paar Posten schaffen, ein bisschen zusammenrücken – schon kann man planspielmäßig nachstellen, was in der Planckstraße los ist.

Herr Ministerpräsident, meinen Sie das mit „kollegial und ergebnisorientiert? So macht man doch keine Regierung!

Sinnbildlich für die Misere auch: die Sache mit den Landesbeauftragten.

Eine zweite Beauftragte für Migration und Teilhabe entspräche nicht dem Profil der CDU.

Aber kein Problem. Dann erfindet man eben eine neue Landesbeauftragte.

Und – zack – schon ist Frau Westmann die Landesbeauftragte für Vertriebene. Ist ja logisch. Das hätte auch bei Doris Schröder-Köpf bleiben können, aber irgendwie musste man ja das Prinzip der Spiegelbildlichkeit umsetzen.

Anrede,

Wird das wohl fünf Jahre lang gutgehen? Vermutlich ja. Sie haben ja von zwei Dingen genug.

Erstens haben Sie eine ordentliche Mehrheit.

Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich über was ärgern, dann können einige von Ihnen einfach rausgehen. Es müssen ja nicht alle mitstimmen.

Die Groko ist sich nicht einig, muss es aber auch nicht sein.

Und zweitens haben Sie genug Geld zur Verfügung – zumindest noch.

Das liegt an der guten Wirtschaftslage. Das liegt an der aktuellen Zinssituation.

Und, meine Damen und Herren: das liegt an der sparsamen Haushaltspolitik der letzten Landesregierung.

Dieses Geld ist der Kitt der zwei Regierungen, die parallel vor sich hinarbeiten. Wenn die CDU unzufrieden ist, kriegt sie einfach ein paar Posten mehr bezahlt.

100 Posten genau genommen.

One hundred Shades of Groko sozusagen.

Das wird vielleicht gut gehen. Gut für das Land ist es nicht!

Anrede,

wir konnte Ihren Ausführungen ja gerade lauschen, Herr Ministerpräsident.

Sie haben vor allem darüber gesprochen, wo sie wieviel Geld hinleiten wollen.

Wenn man genau hinguckt, dann ist das mit der Finanzierung allerdings dann doch nicht klar.

Wir sehen es bei der Gebührenfreiheit für Kindertagesstätten. Die Schecks, die Ihr Finanzminister Hilbers mit lockerer Hand ausstellt, sind ja nur zur Hälfte gedeckt!

Aber für eine Nachricht reicht es ja.

Der Rest kommt schon zusammen. Kein Wunder, dass die Niedersachsen-SPD dem Koalitionsvertrag auf Bundesebene zustimmen will. Sie haben das Geld hier ja schon verplant!

Und Sie machen nicht mal einen Hehl daraus. Ist das neuerdings seriöse Haushaltsplanung?

Was ist denn, wenn es nicht klappt? Wenn es die Groko im Bund nicht gibt? Auch das haben Sie ja gesagt, Herr Ministerpräsident: „Nicht alle Forderungen der Kommunen können erfüllt werden.“

 

Aber, Moment mal, bei all dem Wirbel um die Gebührenfreiheit vergisst man ja fast, wo die eigentlichen Probleme liegen. Wie wollen Sie eigentlich die Qualität in den Kitas verbessern?

Keine Antwort.

Im Gegensatz zur Beitragsfreiheit haben Sie dazu im Wahlkampf ja nichts gesagt. Und außerdem: Um die Qualität in den Kitas zu verbessern, bräuchte man mehr als Geld. Man bräuchte ein gemeinsames Konzept.

Wir haben so ein Konzept übrigens vorgelegt. Unser Kindertagesstättengesetz wird gerade im Kultusausschuss beraten. Sie sehen:

Es geht. Wenn man denn will. Und wenn man es kann. 

Herr Ministerpräsident,

Sie haben eben einen denkwürdigen Satz gesagt: „Wir machen, was wir uns leisten können.“

Ich weiß, Sie können sich eine Menge leisten. Das Geld ist da, und in der Großen Koalition kann man sich ja immer was leisten.

Nur leider machen Sie aber nicht mehr als das, was Sie sich leisten können. Danach ist Schluss. Wenn man nur da anpackt, wo man richtig Geld lassen kann, ist das keine gute Politik!

Anrede,

im Gegensatz zu Ihnen haben wir mit Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode diszipliniert zusammengearbeitet.

Wir haben solange miteinander diskutiert, bis sich alle hinter einem Antrag oder einem Gesetz versammeln konnten.

Das war viel Arbeit, das hat auch Nerven gekostet. Aber es hat das Ergebnis verbessert.

Und natürlich: Die knappe Mehrheit hat uns anfälliger gemacht für Abwerbeaktionen. Sie, meine Damen und Herren, werden über sowas in dieser Legislaturperiode sicher nicht stolpern.

Dafür müssen Sie es miteinander aushalten.

In der letzten Legislaturperiode ist uns ja manchmal vorgeworfen worden, dass wir mit Geld nicht umgehen können. Ich glaube Sie, Herr Hilbers, haben das öfter getan. Und die Schwarze Null haben Sie ja auch eher dem Zufall zugeschrieben als unserer Disziplin.

Und warum? Weil Sie es sich nicht vorstellen konnten, dass jemand langfristig plant – eine mittelfristige Finanzplanung haben Sie ja gar nicht nötig.

Im Gegensatz zu Ihnen war Finanzminister Schneider ein eiserner Wächter des Haushaltes!

Anrede,

ich habe viel übrig für eigenwillige Koalitionspartner. Das weiß auch Ministerpräsident Weil.

Aber falls diesen ersten 100 Tagen tatsächlich noch 1700 weitere folgen, dann wünsche ich mir im Sinne Niedersachsens vor allem eines:

Herr Weil, übernehmen Sie Führung.

Tragen Sie die Konflikte aus, anstatt sie mit Geld zuzuschütten.

Einigen Sie sich, anstatt Widersprüche zu ignorieren.

Machen Sie Ihre Politik besser, indem Sie eine gemeinsame Linie einfordern.

Das muss doch möglich sein!  Das haben wir doch auch geschafft!

Wenn es nämlich so weiter geht, dann haben wir in fünf Jahren

leere Kassen,

einen riesigen Apparat in den Ministerien,

zerstrittene Ministerien, und vor allem

fünf Jahre Stillstand hinter uns!

Anrede,

gute Politik ist nicht immer teuer. Es würde nicht so viel kosten, sich Maßnahmen zur Verbesserung der Luft in den Städten zu überlegen.

Aber Sie sind ja gegen die Blaue Plakette und gegen Fahrverbote.

Sie sind für’s Nichtstun.

Das Klimagesetz, über das wir morgen diskutieren werden, wäre ein echter Fortschritt. Niedersachsen würde beweisen, dass es bereit ist, seinen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Zu dem Thema schweigen Sie sich erstmal aus.

Genauso übrigens wie zum Thema Landwirtschaft. Auch hier kann man ordnungspolitisch einiges erreichen. Überdüngung, Insektensterben und Grünlandschwund passieren jetzt.

Da kann man nicht warten, weil man sich nicht einig wird!

Anrede,

ich erwarte von Ihnen nicht, dass Sie sich mögen. Ich erwarte keine Umarmungen und Sie müssen auch nicht bei jeder Entscheidung so tun, als wäre das schon immer genau Ihre Idee gewesen.

Nein, was ich erwarte ist: Bringen Sie Stringenz in Ihr Regierungshandeln.

Verschlanken Sie sich.

Das führt zu besseren Entscheidungen. Und es kostet nur die Hälfte.

Vielen Dank.

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