Rede Anja Piel: Aussprache über die Regierungserklärung

- Es gilt das gesprochene Wort - 

Sehr geehrte Damen und Herren,

das war schon echt bemerkenswert, als Stephan Weil und Bernd Althusmann nach gerade mal zwei Wochen Verhandlung vor die Presse traten, um das Ergebnis ihrer Koalitionsverhandlungen vorzustellen.

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Das muss man erstmal schaffen. Zumal, wenn sich die verhandelnden Partner zuvor immer beharkt haben. Ich frage mich die ganze Zeit, wie Sie das eigentlich hinbekommen haben.

Ich habe drei Erklärungen:

Erstens:

Lyrik.

Dass Sie, Herr Althusmann, zuweilen ganz ergriffen sind von Ihren eigenen Formulierungen, die es dann aber leider an Substanz vermissen lassen – das haben wir ja in den letzten Wochen und Monaten schon des Öfteren erleben dürfen.

Sich selbst nach dem bloßen Verfassen eines Koalitionsvertrages „ein Höchstmaß an Verantwortung im Umgang mit dem Wählervotum“ zu attestieren – ja, das kann man so machen.

Man könnte es aber auch einfach lassen und daraufsetzen, dass man mit Arbeit überzeugt, meine Damen und Herren.

Schauen wir uns doch diesen Koalitionsvertrag der Groko einmal gemeinsam an.

Mit nicht zu überbietender Präzision benennen Sie die wichtigen Themen, ergehen sich in Problembeschreibungen, formulieren Sie Absichten, und wollen prüfen –

wie und was damit gemeint ist, bleibt hin und wieder auch im Ungewissen.

Sie wollen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger reduzieren. Das klingt gut. Aber wie wollen Sie das erreichen? Kein Wort dazu.

Ein Klimagesetz anzukündigen ist das eine. Aber was soll drinstehen? Ein Koalitionsvertrag ist doch nicht dafür da, um nur die Themen zu sortieren, er muss doch auch erklären, was Sie zu diesen Themen tun wollen!

Zum Ausstieg aus der Kohle kein Wort, stattdessen: Freies Bohren beim Fracking. Und keine Angaben zur Windenergie zulande.

Das Gleiche bei der medizinischen Versorgung auf dem Land. Immerhin: das Problem erkennen Sie. Eine Lösung ist jedoch nicht in Sicht. Vage Absichtserklärungen auch beim Thema Krankenhausinvestitionen, nichts Konkretes zur Patientensicherheit, ein bisschen was zum Sozialen Wohnungsbau, zum barrierefreien Wohnen, Armutsbekämpfung und so weiter und so fort. Wenn es hochkommt, gibt es mal einen Prüfauftrag.

Das ist zu wenig, da ergehen Sie sich in Mittelmaß, meine Damen und Herren!

Keine Große Koalition hat bisher in Niedersachsen eine ganze Legislaturperiode durchgehalten. Wir sind gespannt, wie es dieses Mal läuft.

Eins ist aber sicher: Einen Bruch des Koalitionsvertrages werden Sie sich gegenseitig nur sehr schwer nachweisen können. Einfach, weil in dem Vertrag so wenig Konkretes drinsteht.

Nur: So vage werden Sie nicht weitermachen können. Irgendwann müssen Sie benennen, was Sie konkret umsetzen wollen. Und ob es dann so harmonisch weitergeht? Wir sind sehr gespannt.

Anrede,

der zweite Grund dafür, dass es so schnell ging:

Geld.

– Nicht von uns versteckt, Herr Hilbers, sondern durch gute Einnahmen einfach da.

Das schafft Freiheit, denn, was auch immer in den einzelnen Kapiteln des Koalitionsvertrages versprochen wird, eines steht da immer: Dass Sie da richtig viel Geld reinstecken wollen.

3000 neue Polizeistellen?

1000 neue Lehrer?

Eine Milliarde für den Breitbandausbau?

Alles kein Problem.

Und zum Thema Beitragsfreiheit der Kindertagesstätten: Wir werden ja sehen, wer das am Ende bezahlt. Schon jetzt allerdings ist klar – und das haben wir auch immer gesagt: Die eigentliche Herausforderung zum jetzigen Zeitpunkt ist die Qualität in den Kitas. Und die vernachlässigen Sie zugunsten dieser teuren Maßnahme.

Ein schlechtes Signal an die hart arbeitenden Erzieherinnen und Erzieher, die sich sicher über verbindliche Aussagen zu einer Kraft mehr pro Gruppe oder auch zu gerechter Bezahlung gefreut hätten!

Was ich wirklich bitter daran finde: Beim Thema Unterrichtsversorgung tönen Sie, dass jetzt alles besser wird. Bei den Jüngsten stellen Sie die Qualität der Versorgung an die zweite Stelle.

Aber wann lernen Kinder am schnellsten? Wann gelingt es am besten, Handicaps aufzufangen, Sprache zu fördern und bei anderen Schwierigkeiten nachzusteuern? Solange die Kinder klein sind. Und deshalb ist gerade eine gute frühkindliche Bildung entscheidend für die Zukunft der Kinder.

Wir halten daran fest: Wir brauchen ganz dringend eine Novelle des Kita-Gesetzes und mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung.

Anrede,

bei all den Ausgaben haben Sie das Glück, dass Geld gerade da ist. Wegen der guten Konjunktur, wegen der niedrigen Zinsen. Aber auch das Geld können Sie nur einmal ausgeben. Und was ist, wenn weniger Geld zur Verfügung steht? Sie vertagen so doch nur den Streit darum, wer es ausgeben darf. Ich bin gespannt.

Übrigens haben Sie, Herr Weil, Ihre Zweifel gestern ja schon formuliert. Alle Maßnahmen stehen unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit, haben Sie gesagt.

Haben Sie denn in den zwei Wochen auch darüber gesprochen, was finanzierbar ist? Und was als erstes runterfällt?

Prioritäten zu setzen ist nicht etwas, was man irgendwann mal irgendwie macht. Es ist der Kern und das Schwierigste der politischen Arbeit einer Landesregierung. Sie verschieben das jetzt nur!

Anrede,

Lyrik und Geld erleichtern es zweifellos, einen Koalitionsvertrag zu schreiben. Angereichert haben Sie ihn dann noch mit einem dritten Weg. Und anders als die ersten zwei ist dieser dann wirklich erfolgversprechend: In vielen Bereichen machen Sie einfach so weiter wie bisher. Sehr gut.

Tatsächlich tun Sie das sogar an Stellen, wo ich, wo wir es bisher nicht erwartet hätten:

Beim Moorschutz zum Beispiel setzen Sie unsere Politik fort. Wie oft haben wir von der CDU gehört, dass wir grüne Klientelwirtschaft und ideologische Klimapolitik betreiben. Offensichtlich haben Sie eingesehen, dass es sinnvoll ist, das Moor zu schützen. Ich begrüße das.

Oder beim Wolf. Das Wolfsmanagement soll weiterentwickelt werden. Da haben wir nichts gegen. Rechtsicherheit soll gewahrt werden – keine Frage. Und sie beschreiben, wenn die Population einen „günstigen Erhaltungszustand“ erreicht hat, wird der Wolf ins Jagdrecht übernommen. Klar, sobald der Bestand nicht gefährdet ist, muss er auch nicht mehr geschützt werden. Das heißt im Wesentlichen: Es bleibt alles beim Alten.

Gerade beim Thema Wolf habe ich den Eindruck, dass die meiste Arbeit in den Arbeitsgruppen darauf verwendet wurde, Formulierungen zu finden, die kaschieren, dass Sie im Grunde so weitermachen, wie wir es getan haben. Und wie Sie es rechtlich auch tun müssen.

Auch bei anderen Themen nehmen Sie unsere Politik auf und setzen sie fort – selbst wenn Sie sie bisher als den schädlichen Einfluss der Grünen gegeißelt haben:  Tierschutzplan weiterführen. Antibiotika einschränken. Prävention fördern. Auch die Landeszentrale für politische Bildung wird ausgebaut. Und auch beim Thema Justiz übernehmen Sie zu 95 Prozent unsere Politik. Opferschutz, Resozialisierung und Ausbau der Mediation. Sehr gut.

Freut uns, wenn wir dafür den Weg bereitet haben.

Anrede,

leider gibt es allerdings auch substantielle Verschlechterungen in diesem Koalitionsvertrag. Wir können dabei zwei typische Muster unterscheiden.

Erstens: Für ein Problem keine Lösungen anbieten.

Zweitens: Für ein Problem schlechte Lösungen anbieten.

Beispielhaft für die „Keine-Lösung-Strategie“ ist der Umgang mit der schlechten Luft in den Städten. Ist ja nun nicht so, dass das niemanden betrifft: Jede größere Stadt in Niedersachsen hat ein Problem mit der Luft. Und das heißt: Die Menschen, die Senioren, die Kranken, die Kinder – diejenigen, die an den vielbefahrenen Straßen leben haben das Problem.

Die Ursachen für das Problem sind bekannt. Lösungswege gibt es genug. Sie beschreiten davon: keinen.

„Intelligente Verkehrssteuerung“ allein wird es jedenfalls nicht richten. Und der Öffentliche Nahverkehr auch nicht, solange Sie nicht auch sagen, wie Sie ihn fördern wollen.

Wir kennen diese Weigerung, sich mit dem Problem der Luftverschmutzung in den Städten auseinanderzusetzen, aus den politischen Debatten der Vergangenheit schon zur Genüge. Ich finde das höchst verantwortungslos gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.

Aber abgesehen davon lassen Sie damit eben auch andere die Drecksarbeit machen. Denn wenn Sie nichts gegen die Luftverschmutzung tun, tun es die Gerichte. Dann nehmen Sie in Kauf, wogegen Sie sich doch aussprechen: Fahrverbote in den Innenstädten. Die wird es geben, und das wissen Sie! Da hilft es nichts, nachher auf die Deutsche Umwelthilfe als Klägerin oder auf die Gerichte zu zeigen. Sie wären jetzt gefragt, Lösungen anzubieten!

Wirksame Maßnahmen wie die Blaue Plakette – wollen Sie aber nicht. Sie stehen gegenüber den Menschen in Niedersachsen in der Verantwortung, nicht nur deren Arbeitsplätze bei VW, sondern auch deren Gesundheit zu erhalten.

Herr Weil und Herr Althusmann, wie war das noch gleich mit VW. Herr Althusmann hatte im Wahlkampf angekündigt neben dem Ministerpräsidenten einen externen Experten in den Aufsichtsrat zu entsenden. Haben Sie so schnell keinen Experten gefunden, der das übernehmen konnte? Blöd. Dass es nun gerade derjenige übernimmt, von dem Sie, Herr Weil, noch im TV-Duell sagten, dass er die Materie nicht durchblickt – das lässt allerdings Schlimmes erwarten.

Personalpolitisch bedenklich finde ich – bei aller Sympathie – auch die Nachfolge des geschätzten Kollegen Wenzels.

Noch als Wirtschaftsminister hat Herr Lies freudig in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass es nun endlich mit der A20 und der A39 losgehen kann.

Als Umweltminister wird er diese wirtschaftlich unrentablen Projekte vermutlich loben, weil die Menschen auf neuen Autobahnen schneller in die Naturschutzgebiete kommen. 

Dasselbe Bild beim Artenschutz.

Und ich meine jetzt nicht den Schutz des Diesels. 

Was wollen Sie gegen das Insekten- und Vogelsterben unternehmen? Hier wären Maßnahmen nötig, die Landwirtschaft so zu gestalten, dass sie ihre eigenen Grundlagen erhält. Sie schweigen sich dazu aus.

Sicher ist es wichtig, Maßnahmen im Konsens umzusetzen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben nichts davon, wenn sich gezankt wird. Aber politische Ideen dafür braucht es dennoch, und Politiker müssen für ihre Maßnahmen auch nicht gefeiert werden. Maßnahmen müssen funktionieren. Die Agrarwende hat in den letzten viereinhalb Jahren viel, sehr viel Zustimmung erfahren. Damit wird jetzt wohl Schluss sein.

Anrede,

kommen wir zu den schlechten Lösungen.

Und das ist vor allem die Rückkehr zur „Law and Order“ Politik. Im wahrsten Sinne.

Statt über Sicherheit reden Sie lieber über Ordnung. Wer Ordnung schafft, der sortiert, verschiebt und kehrt auch mal was unter den Teppich. Allein, es geht hier um Menschen.

Ein Beispiel: Sie wollen Trinkerinnen und Trinker aus unseren Innenstädten verbannen – aber wohin wollen Sie sie verbannen? Meinen Sie, es wird weniger getrunken, nur weil die Polizei Alkoholiker des Platzes verweist?

Mir wird jedenfalls klar, warum Sie so viele neue Stellen für Polizisten brauchen. Weil Sie Ihnen Aufgaben zuschustern wollen, für die eigentlich Sozialarbeiter gebraucht würden.

Wo Sie dagegen ansetzen sollten, tun Sie es nicht. Auf das Problem der Obdachlosigkeit zum Beispiel haben Sie überhaupt keine Antwort. Zumindest wenn man mal davon absieht, dass Sie Hygiene-Einrichtungen fördern wollen.

Anrede,

wir haben eine Ordnung. Und das ist der Rechtstaat, dessen Prinzipien für alle gelten. Wir können ja schon froh sein, dass sich die CDU nicht völlig durchgesetzt hat. Aber Präventivhaft von bis zu 74 Tagen

– also die Inhaftierung von nicht straffälligen Menschen, um zu verhindern, dass sie straffällig werden –

das unterhöhlt den Rechtstaat. Ich bin gespannt, was der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst dazu sagen wird. Wir Grüne werden jedenfalls alles uns mögliche tun, um zu verhindern, dass so etwas Gesetzeskraft erlangt!

Die Liste der geplanten Verschärfungen ist aber noch länger. Elektronische Fußfesseln, Meldeauflagen, Kontaktverbote und Aufenthaltsgebote, Quellen- und Telekommunikationsüberwachung, Onlinedurchsuchungen, biometrische Gesichtserkennung – Sie sparen nicht an Mitteln der Überwachung. Wo Sie dann allerdings im Koalitionsvertrag sparen: Sie sagen nicht, für wen und unter welchen Bedingungen Sie diese Mittel eigentlich vorsehen. Ich mache mir ernsthaft Sorgen. Denn es gibt eine Menge zu verlieren. Eine Freiheit, von der ich immer annahm, dass wir es als eine gemeinsame Verpflichtung begreifen, sie zu schützen.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,

ich kenne und ich schätze Sie als nüchternen Pragmatiker. (Nicht nur, aber auch) 

Sie sollen ja neulich bei der SPD-Bezirkskonferenz in Aurich gesagt haben, dass man halt nur mit den Bräuten tanzen kann, die bei der Hochzeit sind.

Frauenpolitisch finde ich den Spruch schon ziemlich schräge. Aber wenn wir ihn jetzt nicht auf mögliche Koalitionen beziehen wollen, dann könnte man ihn auch noch ganz anders deuten: nämlich mit Blick auf die Anzahl der Frauen im Kabinett.

Auf SPD-Seite haben Sie die Schieflage ja noch ganz gut ausgeglichen. Aber bei der CDU regieren mal wieder vor allem die Männer. Von Gleichstellung zu reden, wie Sie es gestern taten, ist richtig und gut. Aber vielleicht hätte man mit die zwei Wochen auch dafür nutzen können, das miteinander zu klären? So war Ihre erste gemeinsame Amtshandlung: Kabinett vergrößern, Frauenanteil verkleinern. So geht Gleichstellung nicht.

Aber zurück zum Pragmatismus, von dem ich mir bei der SPD auch in Berlin mehr wünschen würde: Angesichts dieses Koalitionsvertrages fürchte ich aber, dass mit dem Pragmatismus und der vielbeschworenen Vernunft leider viel von dem auf der Strecke bleiben wird, was die niedersächsische SPD in den letzten Jahren so besonders und so erfolgreich gemacht hat.

Anrede,

ich bin weit davon entfernt, irgendwen dafür zu kritisieren, eine Koalition einzugehen. Ich glaube, wir alle hier sind uns einig, dass eine Große Koalition nicht die optimale Lösung für Niedersachsen ist. Aber, zur Wahrheit gehört auch, es war die einzige Option, die noch blieb, nachdem die FDP sich Verhandlungen über eine Ampel-Koalition verweigert hat.

Nein, die Tatsache, dass Kompromisse geschlossen werden, ist nicht zu kritisieren. Ich schließe mich den Worten unseres geschätzten Bundespräsidenten an: Die Parteien – alle Parteien – haben die Verantwortung, daran mitzuwirken, dass ein Land regiert wird.

Unsere Kritik an dieser Koalition und diesem Koalitionsvertrag ist inhaltlicher Natur. Wir halten viele der gefundenen Kompromisse nicht für gut. Vielleicht hätten SPD und CDU es besser gekonnt, wenn sie sich mehr Zeit genommen hätten. Offene Punkte hätten wir aber auch dann gefunden. Das liegt in der Natur der Sache – wir sind die Grünen. Wir stehen für eine Auffassung von Solidarität, Ökologie, Demokratie und Menschenrechten, die sich von den Auffassungen anderer Parteien unterscheidet. Opposition ist die zweitschönste Aufgabe in einer Demokratie. Und deshalb versprechen wir Ihnen, wir lassen Sie die nächsten Jahre nicht allein. Wir werden uns gern und ausgiebig mit Ihnen über diese Themen streiten. Sie sagen, diese große Koalition ist ein Bündnis der Vernunft.

Wir sorgen dafür, dass es Ihnen bei aller Vernunft nicht langweilig wird.

Vielen Dank.

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