Rede Anja Piel: Antrag (Landesregierung) zur Wohnungslosigkeit

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

Noch vor ein paar Monaten haben wir regelmäßig von frierenden Menschen in der Zeitung gelesen, die die Nacht auch im Winter im Freien verbringen müssen.

Ich war noch im Februar in meinem Wahlkreis bei einem Obdachlosentreff zum Frühstück und hatte die Gelegenheit, mit denjenigen zu sprechen, die im Winter dankbar für einen Platz zum Aufwärmen sind. Normalerweise sinkt der Handlungsdruck der Politik im Frühjahr genauso schnell, wie er bei Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes im Winter steigt. Insofern bin ich Ihnen sehr dankbar, dass sie dieses wichtige Thema quasi antizyklisch im Mai hier in den Landtag geholt haben.

Wohnungslosigkeit ist eine der härtesten und bittersten Folgen von Armut. Auch wenn wir keine offiziellen Daten haben – gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Zahlen der Menschen ohne Obdach von Jahr zu Jahr steigen. Zuletzt hat die BAG Wohnungslosenhilfe 2017 einen Anstieg um 150% bundesweit verzeichnet und weitere 40% in diesem Jahr prognostiziert. Die Antwort der Landesregierung auf unsere kleine Anfrage hat gezeigt, dass wir auch in Niedersachsen steigende Zahlen zu verzeichnen haben, aber auch nicht genau wissen, mit vielen Menschen wir es überhaupt zu tun haben. Wer sie eigentlich sind. 

Sie schlagen in Ihrem Antrag eine Reihe von Einzelmaßnahmen vor, z.B. spezielle Angebote zur Arbeitsförderung, Angebote für Frauen, Hygiene-Center und präventive Angebote vor. Das ist sicher eine erste Hilfe. Eine Strategie kann ich darin jedoch bisher nicht erkennen – und ob es genau das ist, was die wohnungslosen Menschen in Niedersachsen am dringendsten brauchen, weiß ich auch nicht.

 

Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass Obdachlosigkeit viele Ursachen haben kann, Menschen in den verschiedensten Krisen trifft und viele schlimme Folgen für das Leben jedes einzelnen hat – deshalb kann es auch nicht eine Lösung für jede und jeden geben, den wir auf der Straße antreffen. Wir brauchen zu allererst eine belastbare Bedarfsanalyse, auf deren Grundlage wir bereits bestehende Angebote ausbauen, verbessern und stärker verzahnen können.

 

Ein großes Problem sind die unterschiedlichen Rechtskreise und Hilfesysteme, also alle Leistungen und Möglichkeiten, auf die die Menschen Anspruch haben – all diese Maßnahmen sind nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind, für den Betroffenen ein unübersichtlicher Dschungel und nicht immer kommt deshalb die Unterstützung dort an, wo sie dringend gebraucht wird.

Und weil der Ausweg aus solchen krisenhaften Situationen immer schwieriger wird, je länger sie andauern, muss unser Fokus stärker als bisher auch auf der Prävention von Wohnungslosigkeit liegen. Zwangsräumungen bspw. sind gerade in Großstädten ein unterschätztes Problem. Unterstützung bei der Wohnungsbeschaffung und wohnbegleitende Hilfen gehören zu meiner Vorstellung von einer Strategie ebenso dazu, wichtig auch, mal in einem Modell etwas Neues auszuprobieren, dass andernorts bereits erfolgreich funktioniert wie z.B. Housing First.  Hier können die Betroffenen direkt in eine „eigene“ Wohnung ziehen. Eine sinnvolle Alternative zum herkömmlichen System von Notunterkünften und vorübergehender Unterbringung

Aber ganz ehrlich. Die von Ihnen in den Nachtragshaushalt eingestellte Million reicht gerade für einen Einstieg.

Wir müssen im Herbst nachlegen, wenn wir wirklich etwas tun wollen.

Lassen Sie mich abschließend noch zwei Sätze zum Thema Sozialleistungen für EU-Ausländerinnen und Ausländer sagen, denn ich bin nicht sicher, ob ich ihren Forderungspunkt 6 richtig verstehe. Die Europäische Säule sozialer Rechte ist als Konstrukt eine gute Sache.

Solange die Mindestsicherungsleistungen aber noch nicht in allen EU-Staaten Realität sind – sollten Menschen aus andere EU-Staaten auch hier Grundsicherungsleistungen, einschließlich Maßnahmen der Arbeitsförderung erhalten.

Anrede,

Wir haben heute die erste Beratung Ihres Antrages. Ich wünsche mir, dass wir das Thema Wohnungslosigkeit in allen Facetten im Ausschuss diskutieren und dabei auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die mit Betroffenen arbeiten. Oder besser noch. Trauen wir uns zu, Betroffene oder solche, die es mal waren, mit an den Tisch zu holen Lassen Sie und mit den Expertinnen und Experten in eigener Sache sprechen und uns ihre Vorschläge anhören. Und danach entscheiden.

Vielen Dank.

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