Rede Anja Piel: Aktuelle Stunde (SPD) zu ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern

- Es gilt das gesprochene Wort - 

 

Anrede,

was von dem, das wir heute erleben, ist so wichtig, dass wir es unseren Enkeln erzählen werde? Nicht alles, was heute der Aufreger ist, wird in ein paar Jahren noch eine Rolle spielen. Bei bestimmten Ereignissen aber ist einem sofort klar. Sie werden bleiben. Sie sind Geschichte.

2015 war so ein Jahr.

Nicht einfach wegen der großen Zahl der Menschen, die zu uns flüchteten.

Nein, wahrhaft geschichtlich war – und ist – die unglaubliche Hilfsbereitschaft der Menschen. Politik und Verwaltung allein konnten den Ankommenden nicht zur Seite stehen. Es war die Bürgerinnen und Bürger, die sich aus Mitmenschlichkeit für andere eingesetzt haben. Freiwillig, engagiert und mit dem Gefühl, Verantwortung zu übernehmen. Im wahrsten Sinne: Ehrenamtlich.

Anrede,

einige dieser Ehrenamtlichen haben sogar mit Bürgschaften Verantwortung für andere übernommen. Sie haben damit Not gelindert, für die sie als Helferinnen und Helfer ganz sicher nicht verantwortlich waren.

Und sie sind sicher davon ausgegangen, dass diejenigen, die politische Verantwortung tragen, diesen Einsatz wertschätzen, und das finanzielle Risiko übernehmen.

Anrede,

aber weit gefehlt! Statt einem Dankesschreiben für ihren Einsatz erhielten diese engagierten Menschen Rechnungen. Und unterliegen mit ihrem Einspruch dagegen vor Gericht.

Wie soll man dieses Urteil von Münster verstehen? „Sie, William E., haben geholfen, eine syrische Familie aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit zu bringen. Nett von Ihnen, aber nun sehen Sie mal zu, dass sie Kosten dafür auch tragen.“

Das mag Rechtslage sein. Aber die Rechtslage ist aberwitzig. Sie sagt aus, dass wer hilft der Dumme ist. Sie bestätigt diejenigen, die auf „naive Gutmenschen“ herabblicken, anstatt sie für ihren Anstand, für ihren geraden Rücken und ihren Einsatz für die Menschlichkeit wertzuschätzen.

Es ist die Verantwortung der Politik, diesen erbärmlichen Zustand zu ändern. Punkt.

Anrede,

die geschäftsführende Bundesregierung fühlt sich aber nicht verantwortlich. Oder sie hat Wichtigeres zu erledigen. Wie die Genehmigung von Glyphosat zum Beispiel. Gut, dann muss es eben die Landesregierung machen.

Der Titel dieser Aktuellen Stunde macht aber sehr schnell deutlich: Die Landesregierung fühlt sich auch nicht verantwortlich. Sie verweist auf die Bundesregierung. Aus „Niedersachsen packt an“ wird „Niedersachsen steigt aus.“ Bravo.

Das Ganze wird noch skurriler, wenn man bedenkt, dass hier die Große Koalition quasi im Selbstgespräch versunken ist. Die GroKo in Niedersachsen zeigt auf die GroKo im Bund – die GroKo im Bund stellt sich tot.

In großen Koalitionen kann man natürlich auch immer auf den Koalitionspartner zeigen. Hier geht das nicht.

Der Innenminister heißt schließlich Boris Pistorius und gehört der SPD an. Und die zuständige geschäftsführende Bundesministerin, Dr. Katarina Barley, ist auch von der SPD.

Anrede,

den Betroffenen ist sicher egal, wer das Problem löst. Was sie aber nicht verdient haben, ist, dass sich Land und Bund gemeinsam hinter die Hecke machen. Die Bürgen haben verdient, dass Sie sich zusammensetzen und das Problem lösen. Und verlieren Sie dabei bitte keine Zeit. Das haben die Helferinnen und Helfer nämlich auch nicht getan. Die sind mit den Bürgschaften, anders als Sie jetzt, sofort eingesprungen.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage aus unserer Bundestagsfraktion geht hervor, dass die Jobcenter auf ihre Forderungen zum Teil oder auch in Gänze verzichten können. Dafür müssten nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes von 2014 sogenannte „atypische Gegebenheiten“ vorliegen. Meint, das irgendwas nicht so passiert ist, wie es hätte passieren sollen. Eine falsche Beratung bei Übernahme einer Bürgschaft zum Beispiel.

Liebe Landesregierung,

anstatt hier die Bundesregierung zum Handeln aufzufordern, könnten Sie, meine Damen und Herren, nach geeigneten Lösungen suchen, zum Beispiel selbst einen Hilfsfonds einrichten, aus dem die Rückforderungen an die hilfsbereiten Ehrenamtlichen beglichen werden können.

Niedersachsen hat sich in der Vergangenheit engagiert an der Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien beteiligt, mehrmals sein Aufnahmeprogramm verlängert. Wir haben gemeinsam mit der SPD Krankheits- und Pflegekosten aus den Verpflichtungserklärungen herausgenommen, um die Aufnahme von Geflüchteten zu erleichtern. Ich bin stolz, dass wir mit Rot-Grün unserer Verantwortung nachgekommen sind. Auch die neue Landesregierung darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen: Das aktuelle schändliche Geschacher um die Verpflichtungserklärungen muss deshalb schnell ein Ende haben.

Es passt einfach nicht zusammen, den Einsatz von Ehrenamtlichen in der Regierungserklärung hervorzuheben und auf der anderen Seite deren Engagement in dieser Weise abzustrafen. Die allermeisten von uns haben sich unzählige Male vor Ort sehen lassen und bei genau diesen Menschen bedankt. Diejenigen, die damals so großzügig bürgten, haben wirklich Besseres verdient, als eine Aktuelle Stunde, in der Sie die Verantwortlichkeiten hin und herschieben.

Vielen Dank!

Zurück zum Pressearchiv