Antrag: Soziales und ökologisches Wirtschaften in Niedersachsen stärken

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Soziales und ökologisches Wirtschaften in Niedersachsen stärken

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

In Deutschland gibt es derzeit mehr als 8.000 Genossenschaften mit rund 22.000 Mitgliedern, die knapp eine Mio. Menschen beschäftigen. Auch wenn die Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes die Gründung von Energiegenossenschaften ausgebremst hat, so vermeldet der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (DGRV) einen weiter anhaltenden Gründungsboom von Genossenschaften in Deutschland. Vor allem bei Dienstleistungs- und Sozialgenossenschaften gab es laut DGRV auch im vergangenen Jahr wieder einen deutlichen Zuwachs von knapp 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Zwischen klassischer Gewinnorientierung und Non-Profit-Ausrichtung von Unternehmen existiert also ein wachsender Bereich wirtschaftlicher Selbstorganisation, in dem Bürgerinnen und Bürger soziale und ökologische Ziele mit unternehmerischer Selbstständigkeit verbinden. Bei diesen Unternehmen, Genossenschaften oder Vereinen steht im Mittelpunkt, gemeinsam eine Leistung und einen Beitrag zum Wohle aller Beteiligten zu erbringen. Das bürgerschaftliche Engagement stärkt darüber hinaus lokale Wirtschaftskreisläufe und schafft neue sinnstiftende Arbeitsplätze direkt vor Ort.

Es lässt sich darüber hinaus feststellen, dass Genossenschaften oder andere Rechtsformen der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft ein stabiles Standbein der niedersächsischen Wirtschaft sind. Dieser Sektor wächst seit Jahren und hat seit der Finanzkrise an Aufmerksamkeit und Interesse stetig hinzu gewonnen. Er nimmt damit in Niedersachsen eine unverzichtbare wirtschaftliche Rolle ein. Genossenschaften haben sich zudem als krisensichere Wirtschaftskraft bewährt: Ihre Insolvenzrate beträgt gerade einmal 0,1 Prozent.

Zu den Mitgliedsunternehmen des Genossenschaftsverbandes Weser-Ems gehören zurzeit 239 Genossenschaften, darunter 66 Energiegenossenschaften. Über den Genossenschaftsverband e.V. sind in Niedersachsen 358 Genossenschaften organisiert. Im Einzelnen gibt es mit Stand 31. Dezember 2014 62 Kreditgenossenschaften, 157 Ländliche Waren - und Dienstleistungsgenossenschaften, 29 Wassergenossenschaften, acht Gesundheitsgenossenschaften, 55 Energiegenossenschaften und 47 andere Genossenschaften. Über den Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen e.V. (vdw) sind zusätzlich 88 Wohnungsgenossenschaften mit rund 208.000 Mitgliedern organisiert (Stand Ende 2013).

Die mittlerweile gut 125 Jahre alte Rechtsform der Genossenschaft kann wichtige Chancen bieten und kluge Antworten auf aktuelle Herausforderungen geben: Im Bereich der Nahversorgung bieten beispielsweise Genossenschaften die Möglichkeit, dem Rückzug des Einzelhandel in der Fläche zu begegnen. Die wirtschaftliche Selbstorganisation von Handel und Bürgerschaft in Form von z.B. Dorfläden- oder Nachbarschaftsläden kann die Attraktivität in Stadtteilen erhalten oder aber das Zusammenbrechen der Nahversorgung in den Gemeinden verhindern. Schon lange zum unverzichtbaren Repertoire sozialer Wirtschaft zählen Wohnungsgenossenschaften, die für ihre Mitglieder nachhaltig die Wohnsituation mit Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung verbessern. Wohnungsgenossenschaften tragen zu einer guten, günstigen und sicheren Wohnungsversorgung bei.

Die Novelle des Genossenschaftsgesetzes (Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften kurz GenG) in 2006 hat die Gründung von Genossenschaften teilweise vereinfacht. Seit der Novelle steht die Rechtsform auch sozialen Unternehmungen offen.

Gleichwohl ist festzustellen, dass die öffentliche Wahrnehmung einer gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft noch gering ist und die Potenziale dieser Wirtschaftsform noch lange nicht ausgeschöpft sind. In diesem Sinne steht es dem Land Niedersachsen gut an, die Rahmenbedingungen der sozialen und ökologischen Wirtschaft weiter zu unterstützen und zu stärken.

Der Landtag stellt fest:

  • Unternehmen der gemeinwohlorientierten und solidarischen Wirtschaft stellen eine wichtige Säule der niedersächsischen Wirtschaft dar. Der Landtag spricht sich für eine Stärkung der Unternehmen und den Ausbau der gemeinwohlorientierten Wirtschaft aus.
  • Die bereits vorhandenen Beratungsangebote der rot-grünen Landesregierung, um beispielsweise die Wohnungsbaugenossenschaften zu unterstützen, sind eine wichtige Säule zur Förderung von Genossenschaften und anderen Rechts- und Organisationsformen im Gründungsprozess.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

  1. sich weiter für eine Stärkung und den Ausbau der gemeinwohlorientierten Wirtschaft einzusetzen;
  2. sich auf Bundesebene für eine Weiterentwicklung der Förderung erneuerbarer Energien einzusetzen, die faire Wettbewerbschancen für Energiegenossenschaften sichert;
  3. ein Förderungsmuster speziell für Genossenschaftsgründer und –gründerinnen zu entwickeln und bei den Angeboten der NBank einzubinden;
  4. die vorhandenen Beratungsangebote mithilfe einer Informationskampagne öffentlich zu bewerben und damit zugänglicher zu machen;
  5. die Informations- und Beratungsangebote für Genossenschaften und speziell für Sozialgenossenschaften und andere Einrichtungen der gemeinwohlorientierten Wirtschaft zu entwickeln, zu bündeln und öffentlich darzustellen;
  6. im Rahmen der Möglichkeiten der neuen EU-Förderperiode 2014-2020 Mittel für gemeinwohlorientierte Wirtschaft zugänglich zu machen;
  7. zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, mithilfe von Genossenschaften (Familiengenossenschaften) die regionale Kinderbetreuung und andere Angebote der Nahversorgung (Hallen- und Freibäder, Dorfläden, Bürgerbusse, Seniorengenossenschaften, Bildungsgenossenschaften, etc.) zu verbessern;
  8. zu prüfen, in welcher Weise eine Förderung von Sozialgenossenschaften analog zum bayrischen Modell auch in Niedersachsen möglich ist.

Begründung

Wer sich solidarisch und gemeinwohlorientiert organisieren will, hat die Wahl, wie er sein Vorhaben rechtlich umsetzen will. Ob die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eine Genossenschaft oder aber vielleicht auch ein  Verein die geeignete Rechtsform für das Vorhaben ist, entscheidet sich im Einzelfall individuell.

Die Rechtsform der Genossenschaft bietet den Vorteil, dass das Haftungsrisiko beschränkt ist und gleichzeitig die Gründungskosten relativ niedrig sind. Die regelmäßigen Prüfungen machen Genossenschaften zudem krisensicher – mit gerade einmal 0,1 Prozent Insolvenzquote sind Genossenschaften mit Abstand stabiler als andere Unternehmensformen. Damit wächst das Vertrauen der Mitglieder, der Kunden und nicht zuletzt möglicher Kreditgeber.

Mit der Novelle des Genossenschaftsgesetzes im Jahr 2006 ist die Gründung einer Genossenschaft wesentlich erleichtert worden. Statt sieben bedarf es nur drei Gründungsmitglieder. Für kleine Genossenschaften ist ein Teil der formalen Anforderungen weggefallen. Die Novelle hat vermutlich auch einen Beitrag dazu geleistet, dass die Anzahl der Genossenschaften erstmals seit zehn Jahren wieder über 8.000 gestiegen ist, wie dem Genossenschaftsbericht 2014 zu entnehmen ist.

Ein erfolgreiches und bekanntes Beispiel ist das soziale Kaufhaus fairkauf in der Landeshauptstadt Hannover, das zu Beginn des Jahres 2008 als Sozialgenossenschaft gegründet worden ist. Das Kaufhaus beschäftigt Langzeitarbeitslose, die oftmals über ihre Beschäftigung bei fairkauf den Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt finden. Es bietet Haushalten mit geringem Einkommen eine günstige Möglichkeit, sich mit Dingen des alltäglichen Gebrauchs zu versorgen. Und es bringt Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen.

Trotz bemerkenswerter einzelner Beispiele sind Sozialgenossenschaften auch in Niedersachsen noch weitgehend unbekannt und das Potenzial, das sich hier bietet ist noch lange nicht ausgeschöpft. Damit liegt Niedersachsen im Trend. Auch andere Bundesländer sind noch unsicher, wie sie die neue Genossenschaftsform in ihr Beratungs- und Förderangebot einbauen.

Im Bereich der Sozialgenossenschaften hat das Bundesland Bayern ein Konzept entwickelt. Neun Sozialgenossenschaften und zwölf Seniorengenossenschaften sind mit je 30.000 Euro bislang gefördert worden. Gestartet ist die „Zukunftsinitiative Sozialgenossenschaften“ des bayrischen Sozialministeriums im Jahr 2012. Ziel war und ist es, der Selbsthilfe der Bürgerinnen und Bürgern Impulse zu gegeben. Die Initiative wird durch einen Expertenrat begleitet und der Aufbau von modellhaften Sozialgenossenschaften wird finanziell unterstützt. Der Expertenrat „Sozialgenossenschaften – selbst organisierte Solidarität“ besteht aus Vertretern und Vertreterinnen aus der Praxis, der Wissenschaft, der Wohlfahrtspflege, den kommunalen Spitzenverbänden und der Politik. Der Expertenrat hat den Ratgeber „Sozialgenossenschaften in Bayern - Der Ratgeber zur erfolgreichen Gründung“ entwickelt und veröffentlicht.

Über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg erleben Genossenschaften einen breiten politischen Zuspruch: Sowohl in den Koalitionsvereinbarungen des Bundes als auch im Koalitionsvertrag in Niedersachsen sprechen sich die Regierungen für eine Stärkung und Unterstützung der genossenschaftlichen Idee aus. Die rot-grüne Landesregierung befürwortet explizit die Stärkung von Wohnungs- und Energiegenossenschaften. Im Bereich der Energiegenossenschaften hat leider die Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes den bis dahin anhaltenden Boom der Energiegenossenschaften ausgebremst: So haben sich die Gründungen in diesem Sektor im ersten Halbjahr 2014 mit 45 neuen Energiegenossenschaften im Vergleich zum Vorjahreszeitraum halbiert. Es lässt sich feststellen, dass die Reform des Gesetzes dem Anliegen der schwarz-roten Bundesregierung geschadet hat und in diesem Sinne evaluiert und überarbeitet werden sollte.

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