Änderungsantrag: Einsetzung einer Enquetekommission „Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen und pflegerischen Versorgung in Niedersachsen - für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische und pflegerische Versorgung

Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU - Drs. 18/2012

Beschlussempfehlung des Ältestenrats – Drs. 18/2283

Der Landtag wolle den Antrag in folgender Fassung beschließen:

Entschließung

Der Landtag setzt gemäß § 18 a seiner Geschäftsordnung (GO LT) eine Enquetekommission ein, die sich mit der Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung, einschließlich der Notfallversorgung, in Niedersachsen befasst. Im Flächenland Niedersachsen stellen sich die Versorgungstrukturen in der hausärztlichen, fachärztlichen und stationären Versorgung regional sehr unterschiedlich dar. Insbesondere in ländlichen Gebieten wird es immer schwieriger, frei gewordene Kassenarztsitze neu zu besetzen. Gleichzeitig stehen gerade dort häufig nur Unze-reichende öffentliche Verkehrsverbindungen zur Verfügung, die jedoch unabdingbar sind, damit nicht mobile Patientinnen und Patienten zeitnah die benötigte medizinische Hilfe erreichen können. Ambulante Notfallpraxen werden so immer stärker zweckentfremdet und durch Hilfesuchende vor Ort in die Regelversorgung einbezogen. Dieses gefährdet und blockiert dann teilweise die tatsächliche Notfallversorgung. Die Sicherung der medizinischen Versorgung gehört zu den Kernelemen-ten der öffentlichen Daseinsvorsorge. Zielsetzung der Enquetekommission ist es daher, konkrete Vorschläge zu erarbeiten, wie eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe und bedarfsgerechte medizinische Versorgung der niedersächsischen Bevölkerung auch in Zukunft gesichert werden kann.

Im Vordergrund der Enquetekommission stehen die Erarbeitung von Lösungsansätzen im Gestal-tungs- und Ermessensbereich des Landes und der niedersächsischen Kommunen sowie der landesunmittelbaren Leistungserbringer und Kostenträger. Dabei sind der demografische Wandel, der medizinische Fortschritt und Möglichkeiten der zunehmenden Digitalisierung einzubeziehen. Die Digitalisierung sollte zukünftig auch zur Verbesserung der Patientensicherheit und zur Vermeidung von Parallel- und Doppelversorgung eine wichtige Rolle einnehmen. Landespolitische Spielräume zur sektorenübergreifenden Versorgung, die Gesundheitsregionen sowie die verstärkte Einrichtung kommunaler und privater medizinischer Versorgungszentren sollen geprüft werden.

Das deutsche Gesundheitswesen ist von unterschiedlichen Zuständigkeiten, Leistungserbringern, Kostenträgern und Sicherstellungsaufträgen geprägt. Diese Strukturen sind zu berücksichtigen und Veränderungen im Interesse einer besseren Versorgungsstruktur und eines effizienteren Einsatzes von vorhandenen Ressourcen und Finanzmitteln aufzuzeigen.

Um auch zukünftig eine leistungsfähige und bedarfsgerechte Versorgungsstruktur in den unterschiedlichen Regionen Niedersachsens vorhalten zu können, sind insbesondere folgende Fragestellungen zu klären:

I. Ambulante medizinische Versorgung

  1. Wie kann eine flächendeckende Verteilung der Haus- und Fachärztinnen und -ärzte in Niedersachsen erfolgen, um eine wohnortnahe und qualitative Versorgung sicherzustellen, und wie viele Ärztinnen und Ärzte sind dafür erforderlich?
  2. Entwickelt sich der Bedarf bei den einzelnen Facharztgruppen regional unterschiedlich, und in welchen Fachbereichen entstehen dabei die größten Probleme?
  3. Wie müsste die Bedarfsplanung verändert werden, um die Gesamtversorgung im Blick zu haben und regionale Besonderheiten und Bedarfe zu berücksichtigen?
  4. Wie viele Medizinstudentinnen und Medizinstudenten sind in den nächsten zehn bis 15 Jahren notwendig, um in Niedersachsen den Bedarf an Haus- und Fachärztinnen und -ärzten zu decken?
  5. Welche Anreize sind nötig, um eine ausreichende Zahl selbstständiger Haus- und Fachärztinnen und -ärzte in Niedersachsen zu bekommen?
  6.  Welche Leistungen könnten zur Entlastung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte auf nichtärztliche Bereiche delegiert werden, und welche Voraussetzungen müssten dafür geschaffen werden?
  7. In welchem Umfang könnten (kommunale) medizinische Versorgungszentren, die auch landkreis- und krankheitsübergreifend arbeiten, neben selbstständig tätigen Ärztinnen und Ärzten ein Baustein für die Versorgung sein?
  8. Wie kann durch sektorenübergreifende Kooperationen von ambulanten und stationären medizinischen Angeboten die wohnortnahe Versorgung qualitativ optimiert werden?
  9. Welche Rolle können Community Health Nurses in der Primärversorgung einnehmen?
  10. Wären z. B. das niederländische Modell mit niedergelassenen Hausärztinnen und Hausärzten sowie an Kliniken angebundenen Fachärztinnen und Fachärzten oder skandinavische Modelle mit kommunal angestellten Ärztinnen und Ärzten auch eine Lösung für Niedersachsen?
  11. Gibt es im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) vergleichbare Nachwuchsprobleme wie bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten? Falls ja, welche Lösungsansätze gibt es?
  12. Welche Rolle spielt der ÖGD in der Versorgung der Bevölkerung, und wie könnte der ÖGD als eigenständiger Bereich der kommunalen Versorgung weiterentwickelt werden?
  13. Welche Aufgaben übernimmt bzw. könnte der ÖGD im Rahmen der medizinischen Gesamt-versorgung noch übernehmen, und welche Kooperation bzw. Verzahnung mit der kassenärztlichen Versorgung wäre denkbar und sinnvoll?
  14. Wie kann die ambulante pflegerische Versorgung bedarfsgerecht gestaltet werden? Ist auch hier eine Bedarfsplanung sinnvoll?
  15. Welche Kompetenzen benötigen die Kommunen, um für eine bedarfsgerechte Versorgung in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich sorgen zu können?
  16. Ist der Sicherstellungsauftrag der KVN noch zeitgemäß?

II. Stationäre medizinische Versorgung

  1. Welche Leistungen gehören zur Grund- und Regelversorgung, und wie muss ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung erreichbar sein?
  2. Welche Qualitätsanforderungen sollten Krankenhäuser in Niedersachsen erfüllen?
  3. Welche Auswirkungen haben die durch den GBA zunehmend vorgegebenen Mindestmengen auf die Krankenhausstruktur?
  4. Kann die medizinische Versorgung, insbesondere zur Erstversorgung durch Portalkrankenhäuser oder MVZ, gesichert werden?
  5.  Welche Rolle können entsprechend qualifizierte und akademisch ausgebildete Pflegekräfte bei der Erstversorgung einnehmen?
  6. Welche Spezialisierungsmöglichkeiten ergeben sich für Krankenhäuser in den ländlichen Regionen und wie kann entsprechend qualifiziertes ärztliches und pflegerisches Personal gewonnen werden?
  7. Wie können, vor allem in ländlichen Regionen, die in Krankenhäusern vorhandenen Facharztkapazitäten und nicht ausgelasteten medizintechnischen Geräte in die ambulante Versorgung eingebunden werden?
  8. Wie kann durch sektorenübergreifende Kooperationen von stationären und ambulanten medizinischen Angeboten die wohnortnahe Versorgung qualitativ optimiert werden? Sind Primary Health Care Center auch ein Modell für Niedersachsen?
  9. Welche Anreize sind nötig, um eine ausreichende ärztliche und pflegerische Personalausstattung in allen Krankenhäusern zu erreichen?
  10. Was ist notwendig, um Doppelkapazitäten an Landesgrenzen (Bundesländer und europäische Nachbarländer) zu verhindern?
  11. Welche Leistungen der Spezialversorgung bzw. Kapazitäten der Maximalversorgung werden wo und nach welchen Kriterien benötigt?
  12. Welche Kompetenzen benötigen die Kommunen, um ihrem Sicherstellungsauftrag sachgerecht nachkommen zu können?

III. Notfallversorgung

  1. Wie stellt sich die momentane Situation im ärztlichen Bereitschaftsdienst, in ambulanten Notfallpraxen und im Rettungsdienst dar?
  2. Wie haben sich die Inanspruchnahme und die Kosten in diesen drei Bereichen entwickelt?
  3.  Verstehen die Betroffenen bzw. Hilfesuchenden den Unterschied, und sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten zwischen kassenärztlichem Bereitschaftsdienst und kommunalem Rettungsdienst noch zeitgemäß und sinnvoll?
  4. Ist eine Zusammenführung oder zumindest eine gemeinsame Einsatzsteuerung von kassenärztlichem Bereitschaftsdienst und kommunalem Rettungsdienst ein sinnvolles Instrument?
  5. Warum weichen Patientinnen und Patienten immer stärker in die Notfallversorgung aus, und welche Instrumente könnten eine Zweckentfremdung der Notfallversorgung reduzieren bzw. verhindern, dass Notfallambulanzen zur Regelversorgung genutzt werden?
  6. Welches Potential haben Portalkliniken bei der Steuerung von Patientinnen und Patienten in der Notfallversorgung und wie müssen diese ausgestattet sein?
  7. Wie werden Bereitschaftsdienstpraxen an Krankenhäusern angenommen und welches Potential haben sie bei der Entlastung der Notaufnahmen von ambulanten Notfallpatientinnen und –patienten?
  8. Wie stellt sich die Notfallversorgung von Kindern in Niedersachsen dar? Gibt es weitere Möglichkeiten der Patientensteuerung?
  9. Welche ambulanten, stationären und sektorenübergreifenden Angebote sind notwendig, um die Notfallversorgung von Kindern sicherzustellen?

IV. Pflege

  1. Wie viele Ausbildungsplätze für Pflegefachfrauen und –fachmänner werden ab Beginn der generalistischen Pflegeausbildung 2020 in Niedersachsen benötigt, um die ambulante und stationäre Versorgung sicherzustellen?
  2. Wie viele Pflegekräfte mit speziellen Qualifikationen (z.B. Anästhesie- und Intensivpflege) werden in Niedersachsen benötigt?
  3. Welche Qualitätsanforderungen werden an die pflegerische Versorgung gestellt?
  4. Welche Perspektiven ergeben sich für akademisch ausgebildete Pflegekräfte im Gesundheitswesen und welchen Beitrag können diese zu einer besseren medizinischen Versorgung leisten?
  5. Sollte es perspektivisch einen Rechtsanspruch auf einen Tagepflegeplatz geben und welche Bedarfe werden für die post-medizinische Versorgung vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung gesehen?
  6. Welche Unterstützungsbedarfe haben pflegende Angehörige heute und in Zukunft?

V. Digitalisierung

  1. Die medizinische Versorgung kann insbesondere in ländlichen Regionen durch die zunehmende Digitalisierung verbessert werden. Welche technischen und rechtlichen Voraussetzungen könnte/müsste das Land in welchen Regionen schaffen?
  2. Kann die Speicherung von Gesundheitsdaten auf der persönlichen Versichertenkarte ein Instrument zur Verbesserung der Patientensicherheit und zur Vermeidung von Doppeluntersuchungen sein, und welche Voraussetzungen wären dafür notwendig?
  3. Welche Hürden bestehen bei der Digitalisierung von Patientenakten und deren Weitergabe zwischen verschiedenen behandelnden Akteurinnen und Akteuren?
  4. Wo gibt es bereits Best-Practice-Beispiele und wie können diese auf Niedersachsen übertragen werden?
  5. Wie können Patientinnen und Patienten bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen beteiligt werden?
  6.  Wie können die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden, um die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen einerseits und die sektorenübergreifende Zusammenarbeit andererseits zu verbessern?

 

VI. Mobilität

  1. Welche Zeitspanne ist für Hilfesuchende zumutbar, um eine Hausärztin/einen Hausarzt oder ausgewählte Facharztgruppen barrierefrei zu erreichen?
  2. Ist die barrierefreie Erreichbarkeit in Niedersachsen flächendeckend mit dem ÖPNV gewährleistet? Falls nicht, in welchen Regionen des Landes nicht?
  3. Wie könnte eine barrierefreie Erreichbarkeit ohne ÖPNV für Patientinnen und Patienten gewährleistet werden, und wer ist dafür zuständig?
  4. Wie können Modellprojekte wie das Patientenmobil dauerhaft abgesichert, also in den Regelbetrieb in ländlichen Bereichen überführt und neue Mobilitätskonzepte entwickelt werden?

VI. Zusammensetzung der Enquetekommission

Der Kommission gehören 25 Mitglieder an: 15 Mitglieder des Landtags und zehn Sachverständige, die nicht Abgeordnete sind. Von den Abgeordneten werden je sechs Abgeordnete von den Fraktionen der SPD und CDU und je ein Mitglied von den Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD benannt. Die Sachverständigen werden im Einvernehmen der Fraktionen benannt; andernfalls gilt § 18 a Abs. 2 Satz 3 GO LT.

Im Übrigen gelten die Vorschriften der Geschäftsordnung für die Ausschüsse des Landtages sinngemäß.

Die Kommission kann zur Unterstützung ihrer Arbeit öffentliche, nicht öffentliche und vertrauliche Anhörungen mit Sachverständigen durchführen.

 

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